Agilität – Und täglich grüßt das Murmeltier.

Was bleibt von den neuen Managementkonzepten nach der Krise? (Keynote)

Eine Zeit lang gehörte es zum guten Stil, dass Managerinnen und Manager an ihre Unternehmen, Verwaltungen, Armeen oder Universitäten die Forderung nach mehr „Agilität“ stellten. Beratende setzten das Wort „agil“ vor jedes im nur irgendwie in der Managementliteratur verwendeten Nomen. Es war die Rede von „agiler Projektentwicklung“, „agiler Prozesssteuerung“, „agiler Organisationsentwicklung“, „agilem Qualitätsmanagement“ oder „agiler Führung“. Der Fantasie bei der Verwendung des Begriffs schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Aber was verbirgt sich hinter diesem einst so gefeierten Begriff der Agilität?

„Unter Agilität“ wurde, so eine typische Definition, „die Fähigkeit einer Organisation verstanden, sich kontinuierlich an ihre komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen.“ „Für ein Unternehmen bedeute Agilität“, so die Logik, „die Fähigkeit, in einer Wettbewerbsumgebung gewinnbringend zu operieren, die charakterisiert ist durch ständige, aber unvorhersehbare, sich ändernde Kundenwünsche.“ Von großer Wichtigkeit sei dabei ein „agiles Mind-Set“ aller Mitarbeitenden, welches einen „wertschätzenden Umgang“, „eine Begegnung auf Augenhöhe“ ermögliche.

Solche Definitionen für Agilität lösen das Gefühl spontaner Zustimmung aus. Welche Vorgesetzten würden mit Ablehnung reagieren, wenn gefordert wird, dass sich ihre Organisation einer komplexen, turbulenten und unsicheren Umwelt anpassen sollte? Welche Managerinnen und Manager würden sich gegen die Fähigkeit aussprechen, in einer sich ständig wandelnden „Wettbewerbsumgebung zu operieren“? Welche Mitarbeitenden würden sich nicht dafür aussprechen, dass es in ihrer Organisation auf einen „wertschätzenden Umgang“ und auf „Begegnungen auf Augenhöhe“ ankomme? Die fast schon automatisch von Statten gehende Akzeptanz dieser Phrasen wurde letztlich durch eine mehr oder minder gut kaschierte Banalität erkauft.

Bei der Auseinandersetzung mit Agilität ist es möglich, ein einfaches Testverfahren anzuwenden, um den Gehalt der Oberflächlichkeit von Managementempfehlungen zu bestimmen: Mit solch Banalitäten haben wir es immer dann zu tun, wenn sich aus der Negation der Empfehlung eine nicht in Betracht kommende Alternative ergibt. Wenn der selbsternannte Management-Guru Stephen R. Covey beispielsweise empfiehlt, proaktiv auf Überraschungen zu reagieren, erkennt man die eigentliche Inhaltslosigkeit der Empfehlung durch deren Negation. Es spricht nämlich wenig dafür, sich von Überraschungen überraschen zu lassen. Genauso hat er Recht, wenn er vorschlägt, die wichtigste Sache zuerst zu erledigen – schließlich scheint uns die Empfehlung, die wichtigsten Sachen bis zum Ende aufzuheben, als wenig hilfreiche Alternative.

Beim Hype um die Agilität konnte man die Grundstruktur beobachten, die den meisten Managementmoden der letzten Jahrzehnte zugrunde lag. Bei einer Managementmode wird ein für einen einzelnen Bereich oder eine einzige Abteilung des Unternehmens sinnvolles Prinzip zu einem Schlüsselkonzept für die ganze Organisation erklärt. Der in vielen Fällen plausible Gedanke in Teams in der Entwicklung, der Fertigung, der Montage oder des Vertriebes auf Vorgesetzte zu verzichten, wurde in Konzepten der agilen Organisation zum Prinzip für die Gesamtstruktur „hochgejazzt“. Die schlüssige Idee der agilen Softwareentwicklung, statt eines über Monate oder gar Jahre andauernden Planungsprozesses nur noch von Woche zu Woche Ziele für die Softwareentwicklung zu vereinbaren, wurde im Konzept der agilen Organisation als Leitidee für das ganze System ausgegeben.

Je breiter das im Anwendungsfall der agilen Softwareentwicklung konkret ausdefinierte Konzept gefasst wurde, desto unspezifischer wurde es allerdings. Irgendwann wurde das Modell der agilen Organisation nur noch vorrangig auf abstrakte Prinzipien wie „Mut“, „Fokus“, „Leidenschaft“, „Respekt“ und „Offenheit“ zurückgeführt. Die Grundidee wurde auf eher wolkige Maxime wie „Pioniergeist“, „Vertrauen“, „Selbstverantwortung“, „Kollaboration“ und „Lernbereitschaft“ reduziert.

Entkleidet man das Konzept von den nach Zustimmung heischenden Wohlfühlformeln bleiben letztlich drei zentrale Prinzipien übrig: Erstens ist die Auflösung strikter Grenzen zwischen den Silos der Organisation zu beobachten, wodurch die Zusammenarbeit über Abteilungen hinweg einfacher gemacht wird. Alternativ wird von vornherein ganz auf die Bildung fester Resorts verzichtet. Zweitens findet eine damit einhergehende Rücknahme der hierarchischen Grundstruktur der Organisation, bis hin zu deren kompletter Abschaffung, statt. Schließlich ist auch noch der Verzicht auf eine starke Formalisierung der Organisation zu nennen. Letzteres geschieht in der Hoffnung, dass sich durch die Selbstorganisation effizientere und effektivere Abstimmungsverfahren ausbilden.

Für die Auflösung von Abteilungen, die Reduzierung von Hierarchien oder die Rücknahme formaler Steuerung mag in konkreten Situationen einiges sprechen. Aber das, was unter dem Label der „agilen Organisation“ serviert wurde, war kalter Kaffee. In den 1960er und 1970er Jahren wurden die Prinzipien unter den Namen der „synthetischen Organisation“, der „organischen Form des Unternehmens“, des „temporären Systems“, der „Adhocratie“ oder der „FlexFirma“ propagiert. In den 1980er und 1990er Jahren wurden für die gleichen Ideen dann Begriffe wie „integrativ-innovatives System“, „multizellulare Organisation“, „intelligente Organisation“, „fraktale Unternehmung“ sowie „modulare Organisation“ prominent gemacht. Anschließend wurden Namen wie „grenzenlose Organisation“, „zentrumslose Unternehmung“, „kollaborative Organisation“, „horizontales System“ oder „selbstmanagende Organisation“ attraktiv. Die Popularisierung der angesprochenen Prinzipien unter „agiler Organisation“ war also lediglich eine weitere Volte in der Erfindung neuer Namen für das (fast) immer Gleiche.

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