Literaturrecherche
Literaturrecherche
Die beschriebene Literaturrecherche sollte wissenschaftliche Erkenntnisse insbesondere zu folgenden Punkten liefern:
- Wie stellt sich der Stand der betrieblichen Suchtprävention im neuen Jahrtausend dar?
- Welche Unternehmen bzw. Einrichtungen werden von wem erreicht?
- Welche Rolle spielen neue Drogen?
- Werden Genderaspekte berücksichtigt?
Zu diesen Fragen wird bei der Auswertung der Literatur auf 17 Arbeiten aus den Jahren 2000 bis 2011 zurückgegriffen. Die Mehrheit der Darstellungen stammt aus der Bundesrepublik Deutschland, drei beleuchten die Situation in Österreich. Die Lage in Belgien, Frankreich und Luxemburg ist Thema einer deutsch-französischen Kongressdokumentation. Die hier beschriebenen 17 Werke können der "Tabelle 5: Literaturauswahl zum Stand betrieblicher Suchtprävention" des pdf-Dokuments des entsprechenden Leitfadens entnommen werden.
Die Mehrheit der Darstellungen beleuchten verschiedene Facetten der Suchtprävention am Arbeitsplatz: In zehn Arbeiten wird schwerpunktmäßig das Problem des riskanten Konsums von Alkohol behandelt, vier Arbeiten zielen auf die Problematiken eines allgemeinen Substanzmittelmissbrauchs ab, eine widmet sich der Tabakprävention. Zwei Veröffentlichungen behandeln das Thema der Suchtprävention aus der Gesamtsicht eines betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Im Folgenden sind die wichtigsten Auswertungsergebnisse der genannten Literaturquellen zusammengefasst:
Zum Stand der Suchtprävention in deutschen Unternehmen liegen zwei Arbeiten vor, die im Auftrag bzw. in Kooperation mit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen durchgeführt wurden (Wienemann & Müller 2005; Wienemann & Schumann 2011). In der Expertise zu Standards der Alkohol-, Tabak-, Drogen- und Medikamentenprävention in deutschen Unternehmen und Verwaltungen beschäftigen Wienemann und Müller sich mit der Frage, welche Standards in der betrieblichen Suchtprävention eine Orientierung geben können, um je nach Organisationsstruktur und -größe eine professionelle und erfolgreiche Präventionsarbeit durchführen zu können. Grundlage für die Expertise sind qualitative Interviews und Befragungen von Betrieben sowie Experten.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass betriebliche Suchtprävention derzeit als der wirksamste Weg anzusehen ist, um erwachsene Menschen mit Sucht vorbeugenden Maßnahmen anzusprechen. Als positive Wirkungen erfolgreicher Programme nennen sie:
- das gestiegene Bewusstsein zur Sucht- und Gesundheitsgefährdung durch Suchtmittel,
- die Enttabuisierung des Themas Sucht,
- die Senkung des Konsums von Suchtmitteln,
- das konsequente Anbieten von Hilfe,
- die Verbesserung des Führungsverhaltens (Wienemann & Müller 2005, 2).
Sie kritisieren aber die noch vorhandene Schwerpunktsetzung auf Suchthilfe in Fragen des Alkoholmissbrauchs, mit der bestehende Chancen zur Primärprävention bei allen Arten von Suchtverhalten nicht ausreichend genutzt werden. Mit einer strategischen Einbindung der Suchtprävention in betriebliche Prozesse, wie Personalentwicklung und Gesundheitsförderung, könnten solche Angebote weit größere Effekte erzielen und zum Unternehmenserfolg beitragen.
Des Weiteren sind ihrer Ansicht nach niedrigschwellige oder frühzeitige Interventionen zum Missbrauch von Alkohol noch viel zu selten in Betrieben vorzufinden; bezogen auf Medikamentenmissbrauch sehen sie einen erhöhten Präventionsbedarf. Die Nikotinprävention gilt als zu wenig breit und kreativ aufgestellt. Eine Interpretation, die von weiteren Wissenschaftlern geteilt wird. So monierte Goecke-Alexandris (2010), dass in 2009 trotz der geltenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Nichtraucher am Arbeitsplatz immer noch jeder fünfte Nichtraucher am Arbeitsplatz Tabakrauch ausgesetzt sei. Zudem habe die Förderung der Raucherentwöhnung als maßgeblicher Bestandteil der Tabakprävention am Arbeitsplatz immer noch nicht den ihr angemessenen Stellenwert in der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Zur Frage der Suchtprävention in Kleinst- und Kleinunternehmen ergibt die Betriebsbefragung von Wienemann und Müller (2005) erheblichen Nachholbedarf. Während annähernd 90 Prozent deutscher großer Unternehmen einen Stufenplan zum Umgang mit Alkoholmissbrauch haben, trifft dies lediglich auf 16 Prozent der Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern zu. Sie plädieren deshalb für eine verstärkte Einbeziehung solcher Kleinbetriebe in betriebliche Suchtkonzepte und hegen die Annahme, dass hier noch mehr angepasste Konzepte zu entwickeln sowie Interventionshilfen in Form von Vernetzungen und externen Unterstützungsangeboten zu schaffen seien. Rummel (2002) schlägt in diesem Kontext vor, nicht immer die umfassende Lösung zu suchen, sondern den Mut zu kleinen Schritten zu finden, bspw. indem sich kleine Betriebe stundenweise Betreuung durch externes Fachpersonal sichern.
Hoffnungsvoll stimmt die Autoren (Wienemann & Müller 2005) aber ihre Umfrage bei externen Beratungseinrichtungen: Etwas mehr als ein Drittel der antwortenden Einrichtungen berichtet von Nachfrage durch Handwerksbetriebe. Sie sehen in diesem Zusammenhang Handlungsmöglichkeiten von Verbänden oder Innungen, die Leitlinien für ihre Mitglieder erarbeiten könnten und die Möglichkeit hätten, Kooperationen mit regionalen Dienstleistern zu empfehlen.
Der beim Konsum von Suchtmitteln relevante Genderaspekt findet besondere Berücksichtigung in einer aktuellen Studie von Wienemann (2011) zur "Rolle des riskanten Alkoholkonsums im Stressbewältigungsverhalten von weiblichen Fach- und Führungskräften". Der Fokus der Studie geht über den riskanten Konsum hinaus und hinterfragt die Funktionen des Alkoholkonsums im Stressbewältigungsverhalten der analysierten Zielgruppe. Zur Klärung der Forschungsfragen wurde eine Literaturrecherche durchgeführt und um qualitative Interviews mit Experten und weiblichen Führungskräften sowie Gruppendiskussionen ergänzt. Die Ergebnisse zeigten, dass spezifische Programme zur geschlechtersensiblen Suchtprävention in Deutschland bislang nicht existieren. Auch der Blick nach Europa erbrachte keine befriedigenderen Resultate. Im Zusammenhang von riskantem Alkoholkonsum und hoch qualifizierten Personen liegen kaum Erkenntnisse vor. Das Projekt kommt zusammenfassend zu dem Schluss:
Die Herausforderung für geschlechtersensible Ansätze und Angebote in der betrieblichen Suchtprävention liegt darin, die spezifischen Anforderungssituationen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die den Alkoholkonsum begünstigen bzw. einem riskanten Konsum vorbeugen, zu identifizieren. Allein die Sicht auf die Unterschiede von Frauen und Männern zu richten, reicht noch nicht aus. Wie in dieser Studie aufgezeigt wurde, bilden die weiblichen Fach- und Führungskräfte in der Gruppe der Frauen eine deutlich abgrenzbare Subkategorie, hinsichtlich der hier genannten Kriterien und bedürfen besonderer Berücksichtigung. (Wienemann 2011, 76)
Auch im Rahmen der SOLVE-Seminare der International Labour Organisation (ILO 2012) werden Genderaspekte angesprochen. So wird thematisiert, dass Frauen eher Medikamente als Alkohol missbräuchlich verwenden. Es wird auf ihre häufige Rolle als Co-Süchtige hingewiesen. Für Großbritannien wird auf einen ansteigenden Alkoholkonsum unter Frauen mit einfachem Bildungsniveau hingewiesen. Ansonsten werden eher geschlechtsspezifische Unterschiede (z.B. Unterschiede im Alkoholabbau zwischen Frauen und Männern) als Genderaspekte behandelt.
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