Zusammenfassung und Entwicklungschancen des Gründerökosystems „Rhein-Main“

Gründungsdynamik und Anziehungskraft

In der Rhein-Main-Region hat sich in den letzten Jahren eine dynamische Startup-Szene entwickelt. Betrachtet man die Zahl an neuen Hightech-Unternehmen, so zählt die Region mit 3,5 Gründungen je 10.000 Erwerbsfähige zu den stärksten fünf Standorten in Deutschland. Zum Vergleich: Berlin weist hier einen Wert von 4,2 auf. Hightech-Gründungen allein sind also noch kein Beleg für eine funktionierende Startup-Szene. Außerdem handelt es sich lediglich um ein kleines Segment aller Gründungen. Wesentliche Elemente einer lebendigen Startup-Community sind regionale Netzwerke und Möglichkeiten für persönliche Treffen. Auf der Online-Plattform www.startupdigest.com wurden knapp 140 Veranstaltungen für Startups in der Rhein-Main-Region im Zeitraum von Juli bis Dezember 2015 angekündigt. Da auf dem Portal nicht alle Aktivitäten registriert werden, kann davon ausgegangen werden, dass im Durchschnitt jeden Tag ein Event für Startups in der Rhein-Main-Region stattfindet. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Gründerszene zeigt die soziale Netzwerkanalyse, dass es die Rhein-Main-Region bisher nicht geschafft hat, in signifikanter Zahl Gründerinnen und Gründer aus anderen Regionen anzuziehen. Die Region ist bisher vor allem durch ein organisches Wachstum geprägt und wird von außerhalb kaum als Gründungstandort wahrgenommen.

Struktur der regionalen Gründerszene

Im Rahmen unserer Untersuchung haben wir in der Rhein-Main-Region über 160 Startups identifiziert und eine Kategorisierung nach Kompetenzfeldern vorgenommen. Die Bereiche Innovative Services (26 Prozent) und Big Data (23 Prozent) stellen zusammen nahezu die Hälfte aller Startups. Die Geschäftsmodelle der Startups aus dem Segment Innovative Services basieren in vielen Fällen auf einer Kombination von konventionellen Dienstleistungen (z. B. Kuriere) mit webbasierten Anwendungen (z. B. Apps), die über Smartphones mobil zugänglich sind. Im Bereich Big Data stehen Hardware- und Software-Lösungen für das Management und die Analyse großer Datenmengen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielt Frankfurt als weltweit größter Internetknoten eine wichtige Rolle. Danach folgen die Segmente E-Commerce (14 Prozent), Digital Media (12 Prozent) und Fintech (11 Prozent). Es ist davon auszugehen, dass sich der Anteil mittel- bis langfristig erhöhen wird. Von Seiten des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung wird die Entwicklung eines neuen Fintech-Zentrums in Frankfurt unterstützt.

Bürokratie und Regulierung

Eine Mehrheit der Startups empfindet nach wie vor bürokratische Hürden bei der Unternehmensgründung, der gesetzlich geforderten Berichterstattung und bei der Umsetzung von Geschäftsaktivitäten. Erfreulicherweise werden Startups seit kurzem auch politisch in Bund und Ländern stärker wahrgenommen. Das am 1. Januar 2016 eingeführte Bürokratieentlastungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus bestehen in den einzelnen Branchen häufig Regeln und Gesetze, die etablierte Unternehmen schützen. Ein bekanntes Beispiel ist die Finanzbranche. Junge Unternehmen aus dem Fintech-Bereich berichten über große regulatorische Schwierigkeiten bei der Umsetzung ihrer Geschäftsidee und verweisen auf bessere Bedingungen im europäischen Ausland. Startups fordern deshalb eine differenzierte Regulierung in Deutschland, die ihnen eine faire Chance am Markt ermöglicht.

Infrastruktur und passende Flächen für Startups

Aus Sicht der Startups zeichnet sich die Rhein-Main-Region durch eine hervorragende Infrastruktur aus. Die kurzen Wege, das gut funktionierende öffentliche Verkehrsnetz und der schnell erreichbare Flughafen werden im Vergleich zu internationalen Metropolen wie London und New York als großer Vorteil erachtet. Weiterhin erweist sich die relative Lage innerhalb Deutschlands als großer Standortvorteil. Problematisch ist hingegen das Angebot an Büros, die den Anforderungen der Startups entsprechen. Der investmentgetriebene Immobilienmarkt gehört in Frankfurt mit einer Durchschnittsmiete von 20 Euro pro Quadratmeter zu den teuersten in ganz Deutschland. Dieses Segment kommt für die meisten Startups nicht infrage. Eine für Startups häufig genannte kompatible Lösung sind Mietpreise mit sechs bis acht Euro pro Quadratmeter und Mietvertragslaufzeiten von bis zu zwei Jahren. Zwischen dem traditionellen Büroimmobilienmarkt und den Startup-Forderungen liegen somit Welten. Teilweise schaffen eine Reihe von Coworking-Spaces und Gründerzentren in der Region einen Ausgleich. Trotzdem scheint die Nachfrage nach passenden Flächen für Startups weiterhin größer als das Angebot. Ein Lichtblick bietet das Bahnhofsviertel, zwar nicht hinsichtlich des Mietpreises, sondern vor allem wegen des kreativen Umfelds.

Talentpool

Ähnlich wie in vielen wirtschaftsstarken Metropolen sind Startups in der Rhein-Main-Region mit folgendem Szenario konfrontiert: Das Niveau an fachlichem Know-how und Managementfähigkeiten ist bei potenziellen Gründenden und Mitarbeitenden hervorragend, die hohen Gehälter und sicheren Arbeitsplätze bei etablierten Unternehmen sorgen jedoch dafür, dass nur relativ wenige Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen oder für Startups arbeiten möchten. Eine Reihe von Ausbildungseinrichtungen wie die Goethe-Universität und die TU Darmstadt haben ambitionierte und erfolgreiche Programme zur Förderung von Entrepreneurship etabliert, um Studierenden eine neue Perspektive zu bieten. Da der Wettbewerb zwischen den Startups in der Rhein-Main-Region bisher noch nicht so stark ausgeprägt ist wie in Berlin, London und New York, ist die Fluktuation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter niedriger und die Personalplanung einfacher. Trotzdem bezeichnen viele Startup-Gründungen aus der Rhein-Main-Region die Suche nach passendem Personal als „Königsdisziplin“.

Marktzugang

Die hohe Dichte an Corporates und mittelständischen Unternehmen in der Rhein-Main-Region erleichtert den Marktzugang und die Kommunikation mit den Kunden. Hieraus resultiert ein Standortvorteil, der bisher noch nicht umfänglich ausgeschöpft wurde. Während Big-Data-Startups dominieren, ist die Zahl der Fintech-Startups – trotz Bankencluster – noch überschaubar. Betrachtet man die räumliche Verteilung in Deutschland, so ist Berlin mit 35 Prozent das führende Zentrum für Fintech-Startups, gefolgt von Frankfurt mit 15 Prozent und München mit 12 Prozent (vgl. Ernst & Young, 2015). Die deutsche Fintech-Szene befindet sich derzeit am Scheideweg. Für die Rhein-Main-Region bietet sich kurz- bis mittelfristig ein „window of locational opportunity“. Es sind trotz alledem schnelle Maßnahmen erforderlich, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Zuge der Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Kunden berichten einige Startups von einer sehr konservativen Geschäftskultur der etablierten Unternehmen in der Rhein-Main-Region. Innovative Kooperationen lassen sich in Berlin und Hamburg anscheinend einfacher umsetzen.

Unterstützung und Beratung

In erfolgreichen Gründerszenen basiert Beratung und Unterstützung von Gründern in vielen Fällen auf dem Prinzip „give before you get“. In einer Region, in der sich Unternehmensberatungen und Rechtsanwaltskanzleien auf die Bedürfnisse zahlungskräftiger Kunden spezialisiert haben, gleicht dieser Leitsatz einer Art Paradigmenwechsel. Dementsprechend groß scheinen die Herausforderungen für die Beratungsund Anwaltsszene in der Rhein-Main-Region zu sein. Der Kenntnis und Inanspruchnahme von geförderten Angeboten kommt in diesem Umfeld eine große Bedeutung zu. Im Zuge der Vielzahl von Events und Netzwerktreffen zeigen sich positive Ansätze. Die Startup-Gründenden in der Rhein-Main-Region sehen zusätzlichen Bedarf in passgenauen Veranstaltungsformaten. Hierzu gehören „Hilfsmeetups“, die kostenfreie Rechtsberatung zu wichtigen Fragen rund um das Thema Gründung, Finanzierung und Beteiligung bieten.

Finanzierungsmöglichkeiten

An vielen Standorten berichten Startups über Probleme bei der Suche nach der passenden Finanzierung. Das gleiche gilt auch für die Rhein-Main-Region. Gibt es tatsächlich eine „Equity Gap“ oder sind die Startups aus Investorensicht schlichtweg nicht attraktiv genug? Fakt ist, dass in Deutschland im Vergleich zu den Startup-Hochburgen USA und Israel nur ein Bruchteil an Venture Capital investiert wird. Eine differenzierte Betrachtung entlang der Entwicklungsphasen von Startups kommt in der Rhein-Main-Region zu folgenden Ergebnissen: Die Business-Angels-Szene wird als stark und international wettbewerbsfähig eingeschätzt. Hieraus ergeben sich gute Chancen für Seed-Finanzierungen oder kleinere Beteiligungsinvestitionen. Problematisch sind hingegen größere Folgefinanzierungen durch Venture-Capital-Fonds. Der Anteil an Hightech-Unternehmen mit einer Venture-Capital-Finanzierung liegt in der Region mit 1,5 Prozent unter dem deutschlandweiten Schnitt von 2,7 Prozent. Es entsteht von Beginn an eine Art „Rückstau“. Denn aus der Sicht von Business Angels ist eine Beteiligung wenig sinnvoll, wenn im Anschluss nicht ausreichend Kapital für die Skalierung der Geschäftsidee akquiriert werden kann. Ein weiteres Problem ist außerdem die häufig fehlende Verbindung zwischen Business Angels und den institutionellen Venture-Capital-Fonds. Trotz einer Reihe von Pitch-Veranstaltungen und Netzwerken gibt es zwischen beiden Investorengruppen immer noch Annäherungsbedarf.

Entwicklungschancen

In Bezug auf das Lebenszyklusmodell (siehe ab Seite 12) befindet sich die Rhein-Main-Region derzeit an der Schnittstelle zwischen der Aufstiegs- und Aktivierungsphase. Diese basiert auf einem organischen Wachstum. Die Chance der Rhein-Main-Region sich als erfolgreiches Gründerökosystem zu etablieren, liegt in der Spezialisierung auf ausgewählten Kompetenzfeldern. Denn Berlin ist bezüglich der Gesamtzahl an Startups und der Attraktivität als Startup-Hochburg mit internationaler Attraktionskraft kaum mehr einzuholen. Der Bereich Fintech bietet sich aufgrund der einzigartigen Kompetenten in der Finanzbranche an. Konkret gilt es, die Zahl der Startups mittelfristig mindestens zu verdreifachen, um in diesem Segment das Niveau von Berlin zu erreichen. Hierdurch würde sich die Rhein-Main-Region als der Top-Standort für Fintechs positionieren. Auch die Bereiche Big Data und E-Commerce zeigen aussichtsreiche Entwicklungschancen durch einer Reihe von komparativen Standortvorteilen der RheinMain-Region. Darüber hinaus gilt es, schrittweise einen Imagewandel zu gestalten, sodass die RheinMain-Region auch auf nationaler und internationaler Ebene stärker als Arena für Startups in den Fokus rückt.

Die Ergebnisse verdeutlichen den Entwicklungsgrad der Rhein-Main-Region als Gründerökosystem. Sie geben Aufschluss darüber, welche Elemente und Netzwerke bereits entwickelt sind und in welchen Bereichen weiterhin Handlungsbedarf besteht. Wichtige Erkenntnisse und Empfehlungen sind in der nachfolgenden "Checkliste" dargestellt.

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