In welchem Kontext wird gegründet?
6.1 Die Stärken und Schwächen des Gründungsstandortes Deutschland
Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen eines Landes oder einer Region umfassen politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontextfaktoren. Sie nehmen Einfluss auf die Quantität und Qualität von Unternehmensgründungen. Im Einzelfall geht es darum, ob sich eine Person für eine eigene unternehmerische Tätigkeit entscheidet und inwieweit diese erfolgreich verläuft. Grundsätzlich gilt: Gründungsbezogene Rahmenbedingungen entfalten ihre Wirkung immer im Verbund. Für die Analyse ist es jedoch hilfreich, eine individuelle Betrachtung vorzunehmen.
Diesen Rahmenbedingungen widmet sich der National Expert Survey (NES) des GEM. Beim NES werden pro GEM-Land und Erhebungsjahr mindestens 36 Gründungsexperten befragt. 2017 haben sich an der Befragung in Deutschland 57 Experten beteiligt. Ziel der Befragung ist es, für jede betrachtete Rahmenbedingung zu ermitteln, ob diese nach Meinung der Experten eher negativ oder positiv ausgeprägt ist, welche Bedeutung sie hat und inwieweit jeweils eine besonders fördernde oder besonders hemmende Wirkung auf das Gründungsgeschehen in Deutschland ausgeübt wird (vgl. Anhang).
Die Ausprägungen gründungsbezogener Rahmenbedingungen in Deutschland weisen über die vergangenen Jahre nur geringe Veränderungen auf. Besonders positiv werden die Infrastruktur, die Einstellung von Konsumenten und Unternehmen gegenüber Innovationen, der Schutz geistigen Eigentums und öffentliche Förderprogramme bewertet. Neue Unternehmen profitieren außerdem von einem breiten Spektrum an Beratern und Dienstleistern. In den genannten Bereichen bietet Deutschland für Unternehmensgründungen ein gutes Umfeld. Der überwiegende Teil der Rahmenbedingungen wird von den befragten Experten als verbesserungswürdig eingeschätzt. Allen voran erhält die schulische und außerschulische Gründungsausbildung besonders schlechte Bewertungen. Der Bereich Regulierung und Steuern wird im Hinblick auf Gründungsaktivitäten ebenfalls als kritisch identifiziert. Auch die gesellschaftlichen Werte und Normen erhalten eine wenig gründungsfreundliche Einstufung (vgl. Abb. 16).
Initiativen von Seiten der Politik, das Engagement von Gründerpersönlichkeiten und der öffentliche Diskurs sind hier wichtige Veränderungsfaktoren. Die regionalen kulturellen Ausgangsbedingungen sind in Deutschland jedoch sehr verschieden. Die Wahrnehmung von Gründungschancen oder die Angst vor dem Scheitern variieren sehr stark und erfordern somit unterschiedliche Herangehensweisen und Reaktionen der Gründungsförderpolitik (vgl. Kapitel 4). Darüber hinaus zeigt sich eine außerordentliche Persistenz des Niveaus regionaler Gründungsaktivitä- ten und unternehmerischer Selbstständigkeit. Veränderungen stellen sich nur über sehr lange Zeiträume ein. Legislaturperioden sind in der Regel zu kurz, um sichtbare Effekte herbeizuführen. Entwicklungsansätze müssen von den regionalen Stakeholdern langfristig verfolgt werden und dürfen nicht nur politisch verankert sein (vgl. Fritsch und Wyrwich 2014).
Der vorliegende GEM-Länderbericht 2017/18 enthält im Vergleich zu den Vorjahren eine ergänzende Aufbereitung der Experteneinschätzungen. Neben den Abweichungen vom theoretischen Mittelwert werden die Bewertungen der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen zusätzlich in Prozentwerten dargestellt. Die Verteilung der Antworten je Rahmenbedingung wird somit erkennbar. Hierbei kommt eine fünfstufige Skala zur Anwendung. Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen werden als „negativ“, „eher negativ“, „teils teils“, „eher positiv“ oder „positiv“ bewertet (vgl. Abbildung 17).
Neben der Ausprägung werden von Seiten der Experten jeweils drei Rahmenbedingungen identifiziert, die eine besonders hemmende und eine besonders unterstützende Wirkung auf neue unternehmerische Aktivitäten ausüben (vgl. Anhang). Die Gründungsausbildung und die Kultur wirken als besondere Hemmnisse für die Entfaltung von Gründungsaktivitäten. Als Gunstfaktoren werden hingegen die Rahmenbedingungen Physische Infrastruktur und Öffentliche Förderprogramme gesehen. Auffällig ist, dass die Finanzierung von Gründungsvorhaben wie bereits im vergangenen Jahr zwar einerseits als Hemmnis, aber andererseits auch als Gunstfaktor eingeschätzt wird. Auf den ersten Blick erscheint dieses Ergebnis als wenig schlüssig. Eine nähere Betrachtung der methodischen Vorgehensweise zeigt jedoch, wie diese Einschätzung zustande kommt. Bei den befragten Experten besteht bei dieser Rahmenbedingung eine ausgeprägte Uneinigkeit. Ein Teil der Experten schätzt die Finanzierungsbedingungen für Gründer als besonders schlecht ein, der andere Teil sieht hingegen in den Finanzierungsmöglichkeiten einen Gunstfaktor für Gründer. Aufgrund der jeweiligen überdurchschnittlichen Häufigkeit der Nennung gehören die Finanzierungsbedingungen sowohl zu den wichtigsten drei Gründungshemmnissen als auch zu den wichtigsten drei Gunstfaktoren. Möglicherweise spielen hier die unterschiedlichen Finanzierungsanforderungen von Gründungen eine Rolle. Während ein Handwerker für die Finanzierung der Einrichtung seiner Schreinerei unter Umständen ohne größere Probleme einen Förderkredit erhält, findet ein Hightech-Startup mit hohem Kapitalbedarf eventuell sehr schwer einen passenden Venture-Capital-Investor.
Insbesondere die mangelnde Gründungsausbildung und die gesellschaftlichen Werte und Normen wirken hemmend auf die Gründungsaktivitäten in Deutschland.
Abb. 16: Bewertung der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen in Deutschland 2017
Abb. 17: Bewertung der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen in Deutschland 2017
6.2 Gründungsbezogene Rahmenbedingungen im Fokus
Die Erläuterung der im GEM untersuchten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen ist im vorliegenden Länderbericht folgendermaßen strukturiert:
- Nennung der zu einer Rahmenbedingung jeweils zugehörigen Kontextfaktoren
- Einschätzung der Bedeutung für den Gründungsstandort Deutschland
- Erläuterungen der Ausprägungen der jeweiligen Rahmenbedingung insgesamt sowie ausgewählter Kontextfaktoren
- Aufgreifen von Handlungsempfehlungen durch die befragten Experten
Für die Verdeutlichung ausgewählter Einschätzungen von Kontextfaktoren durch die Experten, werden diese in Form von Kreisdiagrammen grafisch dargestellt. Andere Faktoren werden im Text erläutert. Die Rahmenbedingungen Gründungsausbildung, Unternehmensnachfolge und Gründungen durch Frauen erhalten im vorliegenden Länderbericht eine besondere Aufmerksamkeit und werden ausführlich analysiert. Bei den letzten beiden Rahmenbedingungen handelt es sich um Sonderthemen, die keinen festen Bestandteil der jährlichen Analyse des GEM darstellen.
6.2.1 Physische Infrastruktur
Die Rahmenbedingung Physische Infrastruktur umfasst Standortfaktoren wie das Verkehrsnetz, die Telekommunikationsmöglichkeiten sowie Leistungen der Versorgungsbetriebe. 68% der Experten schätzen die Bedeutung für den Gründungsstandort Deutschland als hoch oder sehr hoch ein. Im Ranking der Wichtigkeit der Rahmenbedingungen landet die Physische Infrastruktur auf Platz sieben, also im Mittelfeld.
Im Hinblick auf die Ausprägung erreicht jedoch keine andere Rahmenbedingung eine höhere Bewertung. Über 70% der Experten geben der Physischen Infrastruktur des Gründungsstandortes Deutschland eine positive Bewertung. Dementsprechend überdurchschnittlich fallen auch die Einschätzungen einzelner Kontextfaktoren aus. Junge und wachsende Unternehmen können in Deutschland auf eine sehr gute Infrastruktur bezüglich Straßen und Telekommunikation zugreifen. Der Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten wie Telefon und Internet ist in vielen Regionen vorhanden und die Preise sind nicht zu hoch. Bei der Aktivierung eines Anschlusses kann jedoch ein Zeitproblem entstehen. Nach Einschätzung von 44% der Gründungsexperten ist es möglich, dass die Einrichtung des Zugangs mehr als eine Woche Wartezeit beansprucht (vgl. Abb. 18 ).
Die Kosten für Leistungen der Versorgungsbetriebe – Strom, Gas, Wasser – sind für Gründer bezahlbar. Lediglich einer von zehn Experten sieht darin ein finanzielles Problem. Positiv ist ebenfalls, dass die Unternehmen ohne Wartezeit auf Leistungen der Versorgungsbetriebe zugreifen können.
Die Experten empfehlen – trotz der sehr guten Bewertung des Faktors Physische Infrastruktur – hohe Investitionen für die Erweiterung von vorhandenen Straßen und die flächendeckende Versorgung von Unternehmen mit symmetrischem Hochgeschwindigkeitsinternet. Als Handlungsfeld werden auch die teils hohen Mietpreise für Gewerbeimmobilien in Ballungsräumen angesehen.
6.2.2 Wertschätzung neuer Produkte/Dienstleistungen
Die Rahmenbedingung Wertschätzung von Innovationen umfasst Aspekte der Innovationsoffenheit sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch aus Sicht der Konsumenten. Die Gründungsexperten schätzen den Faktor zu fast 60% als wichtig bzw. sehr wichtig ein. Im Vergleich zu den anderen Rahmenbedingungen belegt die Wertschätzung neuer Produkte/ Dienstleistungen Platz elf und ordnet sich somit im hinteren Drittel ein.
Abb. 18: Kann ein neues oder wachsendes Unternehmen in Deutschland innerhalb von ungefähr einer Woche guten Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten (Telefon, Internet usw.) erhalten? n=55
Abb. 19: Stehen die Unternehmen in Deutschland der Erprobung von neuen Technologien und Denkansätzen aufgeschlossen gegenüber?
Insgesamt wird die Ausprägung der Rahmenbedingung Wertschätzung für den Gründungsstandort Deutschland mit 61% als überdurchschnittlich positiv bewertet. Bei der Betrachtung einzelner Kontextfaktoren ist die Offenheit deutscher Konsumenten für Produkte und Dienstleistungen neu gegründeter Firmen besonders hervorzuheben. Weiterhin steht, laut Aussagen der Experten, fast die Hälfte der Unternehmen der Erprobung von neuen Technologien und Denkansätzen aufgeschlossen gegenüber (vgl. Abb. 19). Sowohl von Seiten der Kunden als auch der Unternehmen besteht somit eine überwiegend positive Einstellung gegenüber Innovationen. Angehende Gründer können außerdem von einer zunehmenden Öffnung von Innovationsprozessen profitieren. Die Einbindung externer Partner und Kunden bei der Produkt- und Serviceentwicklung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Unternehmen erhalten dadurch einen schnellen Zugang zu Nutzeranforderungen, Experten-Know-how und neuen Technologien. Hier spielen neben Ideenwettbewerben, Networking-Aktivitäten auch Entwicklungspartnerschaften eine wichtige Rolle (vgl. Baharian und Wallisch 2017).
6.2.3 Schutz geistigen Eigentums
Die Rahmenbedingung Schutz des geistigen Eigentums umfasst die Urheberrechtsgesetzgebung, deren Handhabung in der Praxis sowie den Patentund Markenzeichenschutz. Die befragten Experten schreiben dieser Rahmenbedingung für das Gründungsgeschehen im Allgemeinen eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu. Lediglich 48% der Experten bewerten den Schutz geistigen Eigentums als wichtig oder sehr wichtig. Damit liegt diese Rahmenbedingung im Vergleich auf Platz 14.
Die Ausprägung dieser Rahmenbedingung wird von den Experten mit 60% insgesamt positiv bewertet. Die jeweiligen Kontextfaktoren erhalten dementsprechend gute Bewertungen. Hierzu gehört auch die Gesetzgebung zum Schutz des geistigen Eigentums (vgl. Abb. 20). Dass die Regelungen angewendet und durchgesetzt werden, sieht knapp mehr als die Hälfte der Befragten als gegeben an.
Auch können sich junge und wachsende Unternehmen darauf verlassen, dass ihre Patente, Urheberrechte und Markenzeichen geachtet werden. Das Risiko der Verletzung durch andere Firmen halten lediglich drei von zehn Befragten für ein mögliches Problem. Als verbesserungsbedürftig wird in diesem Zusammenhang jedoch angeführt, dass sich aufgrund hoher Anwalts- und Prozesskosten nicht alle Gründer die gerichtliche Geltendmachung ihrer Rechte leisten können – und diese somit im Vergleich zu großen und bestehenden Unternehmen benachteiligt sind.
6.2.4 Unternehmensbezogene Dienstleistungen
Diese Rahmenbedingung bildet ab, inwieweit jungen und wachsenden Unternehmen Unterstützungsdienstleistungen zur Verfügung stehen – wie beispielsweise Unternehmensberatung, Bankdienstleistungen und rechtliche Beratung. 57% der Experten halten diese Rahmenbedingung für wichtig oder sehr wichtig, ein vergleichsweise niedriger Wert.
Im Hinblick auf ihre Ausprägung wird die Rahmenbedingung mit 60% als positiv eingestuft. Die Auswertung der einzelnen Kontextfaktoren kommt zu folgenden Ergebnissen: Für neue und wachsende Unternehmen in Deutschland ist es leicht, gute und professionelle Beratung in Rechtsfragen und Fragen des Rechnungswesens zu erhalten. Dies sehen 70% der Gründungsexperten so (vgl. Abb. 21). Ebenfalls schneidet die Qualität der Bankdienstleistungen relativ gut ab – jeder zweite Umfrageteilnehmer schätzt diese als hoch ein.
Bei Beratungsdienstleistungen können Gründer aus einem breit gefächerten Angebot auswählen – 82% der Befragten sehen die vorhandenen Optionen als ausreichend an. Auch die Kosten für diese Dienstleistungen sind aus Sicht knapp der Hälfte der Gründungsexperten für die neuen Unternehmen tragbar.
Abb. 20: Gibt es in Deutschland eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz geistigen Eigentums? n=53
Abb. 21: Ist es in Deutschland für neue und wachsende Unternehmen leicht, gute und professionelle Beratung in Rechtsfragen und Fragen des Rechnungswesens zu erhalten? n=57
Abb. 22: Existiert in Deutschland eine angemessene Anzahl staatlicher Förderprogramme für neue und wachsende Firmen? n=57
Abb. 23: Sind in Deutschland staatliche Förderprogramme mit dem Ziel der Unterstützung neuer und wachsender Unternehmen wirkungsvoll? n=54
6.2.5 Öffentliche Förderprogramme
Die Rahmenbedingung Öffentliche Förderprogramme fasst die Aussagen zur Verfügbarkeit und Qualität von Förderprogrammen und Fördereinrichtungen zur Unterstützung neuer und wachsender Unternehmen zusammen. 74% der Experten schätzen diese Rahmenbedingung für den Gründungsstandort Deutschland als wichtig bzw. sehr wichtig ein. Die Relevanz der Rahmenbedingung Öffentliche Förderprogramme wird somit vergleichsweise hoch bewertet.
Insgesamt wird die Ausprägung dieser Rahmenbedingung am Gründungsstandort Deutschland von knapp 60% der Befragten als positiv eingestuft. Bei der Betrachtung einzelner Kontextfaktoren zeigt sich, dass die Zufriedenheit mit der Zahl an verfügbaren Förderprogrammen und Beratungsdienstleistungen für neue und wachsende Unternehmen besonders positiv bewertet wird (vgl. Abb. 22).
Wer nach einem Förderprogramm sucht, wird auch ein passendes Angebot finden, so die überwiegende Expertenmeinung. Dass die Suche nicht immer einfach verläuft und mit einem hohen Aufwand für die Gründer einhergehen kann, liegt daran, dass Angebote und Beratungsleistungen häufig nicht über eine einzige Einrichtung angeboten werden, sondern sich über eine Vielzahl an Institutionen verteilen. Der Ansatz eines „One-Stop-Shops“ wird noch nicht konsequent umgesetzt. Diese Situation bewerten 40% der Experten als kritisch.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Anzahl staatlicher Förderprogramme, sondern auch deren Wirkung. Knapp die Hälfte der Umfrageteilnehmer schätzen die bestehenden Förderprogramme als effektiv ein (vgl. Abb. 23). Eine besonders positive Beurteilung erhalten Technologieund Gründerzentren sowie Inkubatoreinrichtungen. Diese leisten aus Sicht von 75% der Experten als erste Anlaufund Startstelle für Unternehmensgründer einen wichtigen Beitrag zur Förderung neuer und wachsender Unternehmen.
Wie können Gründer und junge Unternehmen sich besser im „Förderdschungel“ zurechtfinden? Die Handlungsempfehlungen auf Basis der Expertenbefragung sind nicht neu und fordern vor allen Dingen eine bessere Übersichtlichkeit: Die Gründungsförderung sollte mehr Aufmerksamkeit in relevanten Medien und der Presse erhalten, um transparenter zu werden. Trotz vielfältiger Angebote an Förderprogrammen, Veranstaltungen und Messen wissen viele Gründer nicht, was diese Angebote genau beinhalten und wie sie ein passendes Programm für sich selbst nutzen können. Als Lösung wird beispielsweise eine Online-Plattform vorgeschlagen, die von der Idee bis zur Wachstumsphase von Gründungen und jungen Unternehmen passende Angebote bündelt und somit entlang der verschiedenen Phasen auf entsprechende Unterstützungsprogramme hinweist.
6.2.6 Marktdynamik und Marktzugang
Die Rahmenbedingung Marktdynamik und Marktzugang umfasst die Einzelfaktoren Marktbedingungen, etwaige Zugangshürden, die Wettbewerbssituation sowie das Insolvenzrecht. 62% der Experten schätzen die Bedeutung dieser Rahmenbedingung für den Gründerstandort Deutschland als eher hoch oder sehr hoch ein. In der Rangfolge der Bedeutung von Rahmenbedingungen wird somit Platz zehn erreicht.
Die Ausprägung der Rahmenbedingung Marktdynamik und Marktzugang erhält von den Experten insgesamt eine durchschnittliche Bewertung. 39% beurteilen diese als positiv, während 41% ein negatives Urteil fällen. Betrachtet man die einzelnen Kontextfaktoren so zeigt sich, dass der Markteintritt für viele junge und wachsende Unternehmen eine Herausforderung darstellt. Etwa ein Drittel der Gründungsexperten ist der Ansicht, dass sich der Markteintritt leicht realisieren lässt. Dahingegen bewerten 45% den Einstieg als größere Hürde.
Bei der Frage, ob die Kosten des Markteintritts für die Gründer leistbar sind, fällt die Beurteilung ähnlich aus – jeder zweite Befragte sieht hierbei eine Hürde. Probleme können ebenfalls durch etablierte Unternehmen entstehen, die Newcomer in unfairer Weise blockieren – dies hält knapp die Hälfte der Gründungsexperten für möglich. Zumindest haben junge Unternehmen gute Chancen, mit etablierten Unternehmen in den Dialog zu kommen. 63% der Experten sehen ein umfassendes Angebot passender Veranstaltungs- und Vernetzungsformate (vgl. Abb. 24).
Positiv bezüglich der Marktdynamik und des Marktzugangs wird vor allem die gegenwärtige gute konjunkturelle Lage in Deutschland gesehen. Insbesondere für hoch innovative Unternehmen ergeben sich dadurch gute Markt- und Gewinnchancen. Die zu erfüllenden Anforderungen bei der Zulassung von neuen Produkten – speziell im Bio- und Medizintechnik-Bereich – sind für junge Unternehmen jedoch häufig sehr komplex und anspruchsvoll, was einen Markteintritt erheblich verzögern oder verhindern kann.
6.2.7 Finanzierung
Das finanzielle Umfeld als Rahmenbedingung umfasst sämtliche Finanzierungsarten für Unternehmen von öffentlichen bis hin zu privaten Quellen. Das Finanzierungsumfeld für Gründungen wird von 84% der befragten Experten als wichtig oder sehr wichtig eingeschätzt. Damit nimmt die Rahmenbedingung Finanzierung den zweiten Platz bei der Bewertung der Wichtigkeit aller im GEM untersuchten gründungsbezogenen Rahmenbedingungen ein.
Insgesamt bewerten 48% der Experten die Rahmenbedingung Finanzierung am Gründungsstandort als eher negativ oder negativ. Eine Einzelbetrachtung der Kontextfaktoren zeigt, dass der Zugang zu Finanzmitteln über Börsengänge für junge und wachsende Unternehmen besonders schwierig ist (vgl. Abb. 25). Die niedrige Zahl an Börsengängen junger Unternehmen in Deutschland unterstützt die Einschätzung der Experten. Andere Finanzierungsoptionen wie Business Angels, Beteiligungsgesellschaften, informelle Investoren oder Crowdfunding schneiden ebenso bei ca. der Hälfte der Experten hinsichtlich ihrer Beurteilung negativ ab.
Knapp 60% der GEM-Experten bewerten die Verfügbarkeit von Fremdkapital als positiv. Zu beachten sind aber Probleme, auf die neue und wachsende Unternehmen im Vergleich zu etablierten Betrieben bei der Beantragung beispielsweise eines Kredites stoßen können. Jungunternehmer erhalten seltener Kredite, da Banken deren Risiko als zu hoch bewerten. Zudem verfügen Gründer häufig nicht über vorhandene Sicherheiten und sind mit unzureichendem Eigenkapital ausgestattet. Die Verfügbarkeit von Eigenkapital für neue und wachsende Unternehmen wurde immerhin noch von ca. 40% der Gründungsexperten positiv bewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland traditionell durch ein bankenorientiertes Finanzsystem geprägt ist und die Verfügbarkeit von Venture Capital oder eigenkapitalbasierte Finanzierungsformen noch Entwicklungspotenzial hat.
Die befragten Experten waren sich einig, dass das finanzielle Umfeld eine sehr wichtige Grundlage zur Gründung eines Unternehmens ist. Es wird unter anderem dafür plädiert, einfachere Finanzierungszugänge zu schaffen. Hier können beispielsweise alternative Finanzierungsinstrumente auf klassischen Instrumenten aufbauen und diese ergänzen. Die digitale Entwicklung in der Finanzwirtschaft bietet neue Wege bei der Kapitalbeschaffung für Gründer – z. B. in Form von Crowdfunding. Darüber hinaus empfehlen die Experten, die Rahmenbedingungen für Wagniskapital weiter zu verbessern, besonders in Bezug auf die kapitalintensive Finanzierung in der Wachstumsphase. Trotz des Ausbaus öffentlicher Wagniskapitalangebote für junge Unternehmen (z. B. steuerfreie Stellung des INVEST-Zuschusses für Wagniskapital, verbesserte EXIST-Förderung für Gründerteams aus Hochschulen, Hightech-Gründerfonds), scheint es hier nach wie vor einen großen Handlungsbedarf zu geben.
Abb. 24: Gibt es in Deutschland für neue und wachsende Unternehmen ausreichende Möglichkeiten der Vernetzung (z. B. durch Veranstaltungen und Workshops) mit bestehenden Betrieben? n=57
Abb. 25: Ist in Deutschland durch Börsengänge ausreichend Kapital für neue und wachsende Unternehmen verfügbar? n=53
6.2.8 Wissens- und Technologietransfer
Die Bewertung der Rahmenbedingung Wissens- und Technologietransfer umfasst Fragen zur Know-how- Übertragung von Forschungseinrichtungen auf Unternehmen sowie zu dem Zugang zu neuen Technologien für Gründer. Knapp 80% der Experten schätzen diese Rahmenbedingung für das Gründungsgeschehen als wichtig oder sehr wichtig ein. Ein vergleichsweise hoher Wert. Innerhalb der Rangfolge der Bedeutung von Rahmenbedingungen wird somit Platz vier erreicht.
Die Gestaltung und Organisation des Wissens- und Technologietransfers am Gründungsstandort Deutschland wird jedoch unterdurchschnittlich bewertet. Nur 33% der Experten stellen dieser Rahmenbedingung ein positives Zeugnis aus, während über 50% hier noch Handlungsbedarf erkennen. Eine Betrachtung der einzelnen Kontextfaktoren zeigt folgende Ergebnisse: Knapp 70% der Befragten sind der Meinung, dass es im Vergleich zu großen etablierten Unternehmen keine gleichen Zugangschancen zu Forschung und neuen Technologien für junge und wachsende Unternehmen gibt (vgl. Abb. 26). Als möglicher Grund kann angeführt werden, dass viele junge Unternehmen keine eigenen Kapazitäten für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten vorsehen.
Die Mehrheit der Experten (66%) ist der Meinung, dass sich junge und wachsende Unternehmen neueste Technologien aus Kostengründen schlichtweg nicht leisten können. Staatliche Zuschüsse könnten hier Abhilfe schaffen, sind nach Expertenmeinung jedoch nicht im zufriedenstellenden Maße vorhanden. 52% der Experten sehen in der gegebenen Wissens- und Technologieinfrastruktur in Deutschland keine ausreichende Qualität, um den Aufbau von Technologieunternehmen auf Weltniveau zu unterstützen. Zudem sehen 59% der Experten noch Verbesserungsbedarf bezüglich des Wissensund Technologietransfers zwischen Universitäten und jungen Unternehmen.
Abb. 26: Verfügen in Deutschland neue und wachsende Unternehmen über die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Forschung und Technologie wie große, etablierte Firmen? n=53
Abb. 27: Bevorzugt die deutsche Regierungspolitik durchweg neue Firmen, zum Beispiel im Rahmen staatlicher Beschaffungspolitik? n=55
Abb. 28: Betont die landesweite Kultur Selbstständigkeit, Autonomie und Eigeninitiative? n=57
6.2.9 Priorität und Engagement der Politik sowie Regulierung und Steuern
Der Faktor Politische Rahmenbedingungen umfasst das gründungsbezogene Engagement von Seiten der Politik sowie die Auswirkungen staatlicher Regulierungen und Steuergesetze auf Gründungsaktivitäten. Die Experten schätzen die Wichtigkeit des Faktors Politische Rahmenbedingungen für den Gründungsstandort Deutschland mit 67% vergleichsweise durchschnittlich ein. In der Bedeutungsrangfolge liegen Politische Rahmenbedingungen auf Platz acht.
Im Zuge der Bewertung der Politischen Rahmenbedingungen erfolgte eine Unterscheidung zwischen den Unterkategorien „Priorität und Engagement der Politik“ sowie „Regulierung und Steuern“. Unter allen gründungsbezogenen Rahmenbedingungen nehmen die Ausprägungen beider Unterkategorien einen Platz im hinteren Mittelfeld ein. 54% bewerten „Priorität und Engagement der Politik“ im Hinblick auf das Thema Gründung als nicht ausreichend. Der Bereich „Regulierung und Steuern“ reiht sich knapp dahinter ein. Hier stellen 56% der Experten dem Gründungsstandort ein schlechtes Zeugnis aus.
Eine Betrachtung einzelner Faktoren und Aussagen zeigt folgende Ergebnisse: Der Einsatz von Politikern auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene für junge und wachsende Unternehmen wird von den befragten Experten wie folgt bewertet. So bescheinigen 45% der Befragten den Volksvertretern im Bundestag in Berlin, dass die Unterstützung neuer und wachsender Unternehmen bei ihnen eine hohe Priorität genießt. Landes- und Kommunalpolitiker schneiden diesbezüglich mit 50% etwas besser ab.
Die Aussage, dass die Regierungspolitik neue Firmen gegenüber bestehenden Unternehmen bevorzugt, wird lediglich von 4% der Gründungsexperten als wahr/eher wahr angesehen (vgl. Abb. 27). Diese Bewertung lässt folgende Schlussfolgerung zu: Die Politik in Deutschland hat bisher (noch) keine Priorisierung zugunsten neu am Markt bestehender Unternehmen vorgenommen.
68% der befragten Experten sehen in der staatlichen Bürokratie und Regulierung eine große Belastung für neue und wachsende Unternehmen. Die Höhe der unternehmensbezogenen Steuern wird von 42% der Experten als erhebliche Hürde für neu am Markt bestehende Unternehmen bewertet.
Als problematisch wird gesehen, dass die Steuergesetzgebung für (junge) Unternehmen komplex ist, Einschränkungen den steuerlichen Verlustvortrag teilweise mindern und der monatliche Rhythmus der Umsatzsteuervorauszahlungen junge Unternehmen belastet. Die Experten empfehlen insbesondere den Bürokratieabbau zugunsten junger und wachsender Unternehmen weiter voranzutreiben. Zudem wird die Einführung eines Gründer-BAföG vorgeschlagen.
6.2.10 Gesellschaftliche Werte und Normen
Die Rahmenbedingung Gesellschaftliche Werte und Normen umfasst den Einfluss der landesweiten Kultur auf die Wahrnehmung und Ausübung eigener unternehmerischer Aktivitäten. 70% der Experten bewerten die Ausprägung der Rahmenbedingung Gesellschaftliche Werte und Normen als wichtigen Faktor für das Gründungsgeschehen. In der Rangfolge zur Bedeutung liegt diese Rahmenbedingung auf Platz sechs. Eine positive Wahrnehmung von innovativen Technologien, die Bereitschaft Risiken zu tragen und die Fähigkeit zum Umgang mit Fehlern sind wesentliche Eigenschaften für die Entfaltung einer dynamischen Gründerszene.
In Deutschland gelten die soziokulturellen Normen tendenziell als Hemmnis für eigene unternehmerische Aktivitäten. Über 60% der Experten vertreten die Meinung, dass in der deutschen Kultur Selbstständigkeit, Autonomie und Eigeninitiative wenig verankert sind (vgl. Abb. 28). Sichere Arbeitsverhältnisse werden im Vergleich zur eigenen Unternehmensgründung häufig bevorzugt. Die Risikobereitschaft der Bundesbürger ist gering ausgeprägt (vgl. Abb. 29). Auch andere Aspekte wie die Förderung der Kreativität und Innovation sind aus Sicht der Gründungsexperten in der deutschen Kultur ausbau- und entwicklungsfähig.
Abb. 29: Fördert die landesweite Kultur die Bereitschaft zur Übernahme unternehmerischen Risikos? n=57
Abb. 30: Können Unternehmensgründungen in Deutschland ohne große Schwierigkeiten hinreichend qualifizierte Mitarbeiter anwerben? n=57
Laut den Experten ist ein besserer Umgang der Gesellschaft mit unternehmerischen Scheitern wünschenswert. Risiko und Scheitern sollten als Teil des Lebens und Arbeitens angesehen und als Chance begriffen werden. Daher wären beispielsweise Kampagnen hilfreich, um mehr gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung für Gründer zu erzeugen. Die Risikobereitschaft und das „Lernen durch Fehler“ sollte in Deutschland stärker gefördert werden, damit die Selbstständigkeit als Alternative zum Angestelltenstatus an Attraktivität gewinnt. Empfehlenswert wäre es, die Bedeutung des Unternehmertums in der Gesellschaft bereits in frühen Schuljahren zu vermitteln.
6.2.11 Arbeitsmarkt
Zur Rahmenbedingung Arbeitsmarkt gehören Aspekte, die den Zugriff auf Personal und die Einstellung von passenden Mitarbeitern aus der Sicht von jungen und wachsenden Unternehmen beeinflussen. 82% der Experten bewerten diese Rahmenbedingung für den Gründungsstandort Deutschland als wichtig oder sehr wichtig. Ein vergleichsweiser hoher Wert, nur die Rahmenbedingungen Finanzierung und Gründungsausbildung werden als noch bedeutsamer eingeschätzt.
Insgesamt erhält die Ausprägung des deutschen Arbeitsmarkts im Vergleich zu den restlichen gründungsbezogenen Rahmenbedingungen relativ schlechte Bewertungen. Gleichzeitig wird dieser Punkt allerdings als besonders bedeutend für das Gründungsgeschehen in Deutschland eingestuft. Die Bewertung der Einzelfaktoren kommt zu folgenden Ergebnissen. Mit 61% ist die Mehrheit der befragten Experten der Meinung, dass es für neue Unternehmen schwierig ist, hinreichend qualifizierte Mitarbeiter anzuwerben (vgl. Abb.30). Besonderer Mangel besteht an Arbeitskräften mit IT-Kompetenzen.
Dies kann zum einen mit der Tatsache zusammenhängen, dass wegen der guten wirtschaftlichen Lage Deutschlands die Nachfrage an Arbeitskräften hoch ist und somit auch große, etablierte Unternehmen mit attraktiven Jobangeboten locken. Zum anderen erschwert der allgemeine Fachkräftemangel in Deutschland besonders für technologieintensive Neugründungen die Suche nach hochqualifizierten Mitarbeitern (vgl. Wallisch und Funke 2016: 32). Außerdem bemängeln rund 50% der Experten, dass Regelungen wie beispielsweise der Kündigungsschutz oder hohe Lohnnebenkosten für neue und wachsende Unternehmen belastend sind.
6.2.12 Schulische und Außerschulische Gründungsausbildung
Der Faktor Gründungsbezogene Ausund Weiterbildung zeigt auf, inwiefern unternehmerisches Denken und ökonomisches Wissen an Schulen, Universitäten und in der beruflichen Ausund Weiterbildung gefördert und berücksichtigt werden. Die Gründungsexperten schätzen die Wichtigkeit der Rahmenbedingung Schulische und Außerschulische Gründungausbildung für den Gründungsstandort Deutschland mit 86% als sehr hoch ein. Keiner anderen Rahmenbedingung wird durch die Experten eine höhere Bedeutung beigemessen.
Im Vergleich aller gründungsbezogenen Rahmenbedingungen schneidet die Ausprägung des Faktors Schulische Gründungsausbildung am schlechtesten ab. 84% der Experten bewerten diese Rahmenbedingung als negativ oder eher negativ. Bei der Ausbildung an Universitäten und Hochschulen sowie in der beruflichen Bildung (Außerschulische Gründungausbildung) zeigt sich ein etwas besseres Ergebnis – hier stellen „nur“ 56% der befragten Experten ein schlechtes Urteil aus.
Insgesamt betrachtet ist es somit wenig überraschend, dass der Ausbau der schulischen und universitären Entrepreneurship-Education auch die mit großem Abstand erste Empfehlung der Experten ist, um Deutschland zukünftig als Gründungsstandort zu stärken und eine bessere Gründungskultur zu entwickeln.
Abbildung 31 zeigt die Bewertung der zugehörigen Kontextfaktoren: 77% der Umfrageteilnehmer kommen zu dem Schluss, dass an Schulen dem Thema Wirtschaft in den Lehrplänen der Primarund Sekundarstufe ein zu geringer Stellenwert eingeräumt wird. Auch die Wertschätzung des Themas www.rkw-kompetenzzentrum.de 53 Entrepreneurship und Unternehmensgründung wird als ausbaufähig gesehen. Die Förderung von Kreativität, Selbstständigkeit und Eigeninitiative kommt im Schulunterricht der Primarund Sekundarstufe ebenfalls zu kurz – lediglich 10% der Befragten bewerten diesen Aspekt als positiv bzw. eher positiv. Auch die Vermittlung der marktwirtschaftlichen Funktionsweise steht an Schulen zu wenig im Fokus – 67% der Experten sehen diesen Aspekt als mangelhaft an.
Immerhin 27% der Experten bescheinigen Hochschulen und Universitäten, dass diese gut und angemessen auf eine Unternehmensgründung vorbereiten. Die Managementausbildung wird mit einem Wert von 35% etwas besser bewertet. In der beruflichen Bildung und Weiterbildung ist die Gründungserziehung besser verankert als in der Schule, jedoch im Vergleich zu Universitäten und der Managementausbildung noch steigerungsfähig.
Abb. 31: Bewertung der gründungsbezogenen Ausund Weiterbildung 2017
Zu den positiven Maßnahmen innerhalb des Faktors Gründungsbezogene Ausund Weiterbildung gehö- ren nach Ansicht der Experten das EXIST-Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie die Beratungsmöglichkeiten an universitären Gründerzentren. Demgegenüber wird durch die befragten Experten eine Reihe von Problemen angesprochen. Die berufsorientierte Lehre an Schulen und Hochschulen klammert oft den Bereich der Selbstständigkeit aus. Die Sensibilisierungsmaßnahmen für Unternehmertum müssen gesteigert werden. Als hinderlich wird ebenfalls die teilweise mangelnde Kompetenz von Lehrkräften in ökonomischen und digitalen Themen angesehen. Beide Felder sind in den Lehrplänen noch zu wenig enthalten.
Der Handlungsbedarf wird als sehr hoch eingestuft. Die Experten empfehlen die Verankerung eines umfassenden Entrepreneurship-Education-Konzeptes – welches stufenweise aufeinander aufbaut: beginnend in der Grundschule über weiterführende Schulen bis hinein in die Berufsausbildung oder das Studium. Auch soll in Schulen und Universitäten offenes problemlösungsorientiertes Arbeiten in eigenverantwortlicher und praxisorientierter Projektarbeit Bestandteil der Ausbildung werden. Der Wirtschaftsunterricht sollte in den Lehrplänen aller Bundesländer als eigenständiges Schulfach verbindlich und mehrjährig aufgenommen werden. Hier ist auch auf die Bedeutung des Unternehmers für die Gesellschaft einzugehen. Um technologische Aspekte abzubilden, ist darüber hinaus auch die Einführung eines Faches „Digitalkunde“ als ergänzendes Pflichtmodul denkbar.
6.2.13 Gründungsbezogene Rahmenbedingungen für die Unternehmensnachfolge
In der diesjährigen Expertenbefragung wurden zusätzliche Fragen zu den Rahmenbedingungen für die Unternehmensnachfolge gestellt. Diese thematisieren den Bekanntheitsgrad, passende Finanzierungsmöglichkeiten, vorhandene Matching-Formate sowie die Sensibilisierung von potenziellen Gründern für die Übernahmen bestehender Unternehmen (vgl. Abb. 32). Die Bedeutung der Unternehmensnachfolge für das Gründungsgeschehen insgesamt wird von 65% der Experten als eher hoch oder hoch eingeschätzt. Im Vergleich mit den anderen Rahmenbedingungen liegt das Thema Unternehmensnachfolge somit im hinteren Mittelfeld.
In Deutschland stehen zwischen 2018 und 2022 mehr als 150.000 Unternehmen zur Übergabe an (vgl. IfM 2018). Aufgrund des demografischen Wandels geht die Schere zwischen Übergebern und potenziellen Übernehmern immer weiter auseinander: Mehr Unternehmer erreichen das Ruhestandsalter, während die Zahl der Personen zwischen 25 bis 45 Jahren, die sich für den Aufbau einer selbstständigen Existenz interessieren, stetig abnimmt. Der Übergabeprozess ist in der Regel von einer hohen Komplexität gekennzeichnet. Etwa die Hälfte der Alt-Eigentümer finden keine passenden Nachfolger für ihr Unternehmen.
Bei Alt- und Neueigentümern bestehen nicht selten hohe Informationsdefizite und Unsicherheiten. Diese gilt es rechtzeitig und präzise zu adressieren, um eine Übergabe erfolgreich zu gestalten. Die Komplexität einer Unternehmensnachfolge zeigt sich auch an der Vielzahl involvierter externer Akteure. Hierzu gehören Steuerberater, Rechtsanwälte, Spezialisten für Mergers & Acquisitions und Bankberater, die häufig der erste Ansprechpartner sind. Insbesondere zu den Beratern in der jeweiligen Hausbank der übergebenden Unternehmen bestehen langjährige Beziehungen und ein gewachsenes Vertrauensverhältnis. Bankberater haben somit eine große Verantwortung bei der erfolgreichen Gestaltung der Unternehmens- übergabe und -übernahme, da sie vorbeugend auf zwei große Probleme einwirken können: die langfristige Planung der Übergabe und die starke emotionale Bindung an das Unternehmen durch den Alt-Inhaber.
Abb. 32: Die Einschätzung der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen für die Unternehmensnachfolge
Ein Blick auf die Bewertung durch die befragten Experten lässt ein leicht überdurchschnittliches Gesamtergebnis erkennen. Dies zeigt sich in der Beantwortung der einzelnen Fragen zum Thema Unternehmensnachfolge. 56% der Experten bewerten die Finanzierungsmöglichkeiten für die Realisierung von Nachfolgevorhaben als positiv. Bei der erstmaligen Übernahme steht in diesem Zusammenhang eine ganze Bandbreite an Förderdarlehen, Bürgschaften und Beratungszuschüssen zur Verfügung. Eine der größten Schwierigkeiten im Zuge der Unternehmensnachfolge liegt jedoch nicht unmittelbar bei der Auswahl der passenden Finanzierunginstrumente, sondern einen Schritt davor: Und zwar bei der Ermittlung eines angemessenen Unternehmenswertes. Die SeniorUnternehmer möchten ihr langjähriges Engagement im Kaufpreis wiederfinden und rechnen hierbei die „Herzblut-Rendite“ mit ein. Potenzielle Nachfolger gehen bei der Preisbestimmung eher rational vor und kommen nicht selten zu einem niedrigeren Ergebnis (vgl. DIHK 2017).
Die Sensibilisierung von potenziellen Gründern für die Möglichkeit der Übernahme eines bereits bestehenden Unternehmens wird ebenfalls von 54% der Experten als positiv bewertet. 35% der Experten beurteilen die Sensibilisierung potenzieller Nachfolger hingegen als negativ und sehen somit noch Handlungsbedarf. Die Information und Beratung erfolgen meist durch die regionalen Geschäftsstellen der Kammern sowie städtischen und kommunalen Einrichtungen der Wirtschaftsförderung. Hierdurch kann ein beträchtlicher Anteil an gründungsinteressierten Personen erreicht werden. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund die Einschätzung des gesellschaftlichen Bekanntheitsgrades der Unternehmensnachfolge als Gründungsoption. 56% der Experten bewerten diese als negativ. Aus den Ergebnissen lässt sich folgende Schlussfolgerung ableiten: Bei Personen, die sich für eine selbstständige Existenz interessieren, wird das Thema Nachfolge durchaus gut positioniert, der Großteil der erwerbsfähigen Bevölkerung bleibt jedoch außen vor und kommt noch zu selten oder gar nicht mit dem Thema Unternehmensnachfolge in Berührung.
Für die effektive Zusammenführung von SeniorUnternehmen mit Übergabeabsicht und potenziellen Übernehmern haben sich in den vergangenen Jahren Matching-Plattformen etabliert. Es handelt sich hier häufig um Online-Börsen, die über Selektionsverfahren Angebot und Nachfrage zusammenbringen. Neben nationalen Matching-Plattformen entstehen zunehmend auch regionale Formate. Räumliche Nähe erleichtert häufig die Zusammenführung der Akteure und geht mit einem Vertrauensbonus einher. Die regionale Unternehmenskultur spielt hier eine wichtige Rolle. Die befragten Experten bewerten vorhandene Matching-Formate mit 51% überwiegend positiv. Etwas mehr als ein Drittel stellt der organisierten Zusammenführung von Alt-Inhabern und Übernehmern jedoch ein negatives Urteil aus. Wie bei vielen Online-Plattformen stellt die Aktualität der eingepflegten Profile eine große Herausforderung dar. Sofern diese nicht gewährleistet werden kann, sinkt die Matching-Qualität und somit die Erfolgschance.
6.2.14 Gründungsbezogene Rahmenbedingungen für Frauen
Ein weiterer zusätzlicher Themenschwerpunkt in diesem Jahr sind gründungsbezogene Rahmenbedingungen für Frauen. Die Experten wurden um ihre Einschätzung zu den Themen Kompetenzen, Chancen, Mut, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Rollenvorbilder und technologieorientierte Gründungen gebeten. Knapp 52% schreiben dieser Rahmenbedingung für das Gründungsgeschehen insgesamt eine hohe Bedeutung zu. Im Vergleich mit den anderen Rahmenbedingungen ist dieser Wert relativ niedrig.
Frauen gründen deutlich seltener als Männer (vgl. Sternberg/von Bloh 2017). Es handelt sich dabei mit wenigen Ausnahmen um ein weltweites Phänomen. Deutschland bildet hier aber keine solche Ausnahme. Im Gegenteil: Die Gründungsquote von Frauen liegt bei 3,9% und ist im internationalen Vergleich sehr niedrig. Mit Italien und Frankreich liegt Deutschland jeweils auf den hinteren Plätzen. Im Vergleich mit der Gründungstätigkeit von Männern zeigt sich ein ausgeprägter Unterschied zwischen den Geschlechtern. Männer gründen etwa doppelt so häufig als Frauen. Man spricht hier auch von einem sogenannten „Gender-Gap“.
Die Bewertung der einzelnen Faktoren liefert folgende Ergebnisse (vgl. Abb. 33). Fast 80% der Experten sehen keine geschlechterspezifischen Unterschiede hinsichtlich der gründungsrelevanten Kompetenzen. Anders ausgedrückt: Frauen und Männer sind gleichermaßen in der Lage, ein Unternehmen zu gründen. Betrachtet man die Gründungschancen, so verschiebt sich das Bild zugunsten der Männer. Hier sieht nur noch etwas mehr als die Hälfte der Experten Frauen und Männer gleichauf.
In einem sozialen und wirtschaftlichen Umfeld, in dem Gründungen durch Frauen relativ selten sind, ist es umso bedeutsamer, durch private und politische Initiativen Mut zu machen, den Schritt in eine eigene unternehmerische Tätigkeit zu wagen. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da Frauen eine höhere Risikoaversion und weniger Zuversicht als Männer zeigen. Untersuchungen im Rahmen des GEM haben festgestellt, dass die Angst vor dem Scheitern bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt ist (vgl. Kapitel 4.4). 45% der Experten sehen in Deutschland ein Umfeld, dass Frauen Mut macht, ein eigenes Unternehmen zu gründen. 40% erkennen hingegen noch Nachholbedarf. Der Mut und die Entscheidung zu gründen, sind auch vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu betrachten. Eine angemessene soziale Infrastruktur mit guten und erschwinglichen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder kann die Gründungsentscheidung positiv beeinflussen. Die befragten Experten bewerten diesen Aspekt mit 45% ebenfalls eher positiv.
Rollenvorbilder übernehmen eine wichtige Orientierungsfunktion. Dies gilt insbesondere für das Thema Gründung und Selbstständigkeit (vgl. Wyrwich et al. 2016). Im Idealfall engagieren sich erfolgreiche Gründerinnen und Unternehmerinnen als öffentliche Promotoren der Gründerszene, sie schmieden Netzwerke, betätigen sich als Investoren und beraten Gründerinnen und Startups. Langfristig kann hieraus ein sich selbst verstärkender Kreislauf entstehen. Bei den weiblichen Rollenvorbildern sehen die befragten Experten noch Nachholbedarf. Knapp 50% geben dieser Rahmenbedingung eine negative Bewertung. Die Einschätzung der Gründungschancen für Frauen im MINT-Bereich fallen ähnlich aus. In diesem Feld besteht jedoch nicht nur beim Thema Gründung Nachholbedarf, sondern auch im gesamten Bildungsbereich. Hieraus resultiert ein sehr niedriger Anteil von Frauen bei technologieorientierten Gründungen.
Abb. 33: Die Einschätzung der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen für Frauen
Eine attraktive MINT-Bildung und weibliche Rollenvorbilder sind wichtige Faktoren zur Stärkung von Gründungen durch Frauen.
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