Wer gründet?
3.1 TEA-Quoten für zwei Altersgruppen in den innovationsbasierten Ländern 2017
Viele demografische Merkmale eignen sich zur Beschreibung von Unterschieden bei Gründungsaktivitäten und -einstellungen, erklären können sie diese Unterschiede aber allein nicht. Die TEAQuote lässt sich im GEM differenziert für zahlreiche demografische Attribute berechnen. Dazu gehören beispielsweise das Geschlecht, der Bildungsstand, das Haushaltseinkommen, das Geburtsland oder das Alter. In Deutschland gründen deutlich mehr Männer als Frauen (TEA-Quoten 6,6% bzw. 3,9%) und besser Ausgebildete häufiger als Menschen mit einem niedrigen formalen Bildungsabschluss, wie die deutlich höheren TEA-Quoten unter Menschen mit Hochschuloder Fachhochschulabschluss (8,82%) verglichen mit jenen ohne Schulabschluss (4,03%) zeigen. Im Wesentlichen steigt die Gründungswahrscheinlichkeit mit dem Niveau des formalen Bildungsabschlusses. Auch zwischen Menschen, die in einem Haushalt mit relativ hohem Haushaltseinkommen (oberstes Terzil) leben und solchen in Haushalten mit relativ geringem Einkommen (unteres Terzil), lassen sich in Deutschland statistisch signifikante Unterschiede bei der TEA-Quote zugunsten der ersten Gruppe beobachten (8,8% vs. 2,7%). Die Zusammenhänge zu den in Deutschland dominierenden Opportunity-Gründungen (und eben nicht Necessity-Gründungen) sind offensichtlich (zu den Gründungsmotiven siehe Kapitel 4.2).
Umgekehrt u-förmig ist der Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und der TEA-Quote, auch in Deutschland: Die höchste Quote weist die Altersgruppe der 25-34-Jährigen auf (7,7%), wie auch in den Vorjahren. Gründungspolitisch interessant sind, wegen des Zusammenhangs mit dem demografischen Wandel, besonders die Gründungsaktivitäten der Altersgruppen an den beiden Polen der Zeitachse.
Abbildung 6 zeigt, dass die nationale TEA-Quote in den Ländern insbesondere von den Gründungsaktivitäten der jüngsten Altersgruppe bestimmt werden: In Estland, Kanada, den USA, Puerto Rico, den Niederlanden und Luxemburg – also sechs der neun führenden Länder bei der TEA-Quote – liegen die TEA-Quoten der 18-24-Jährigen teils um ein Vielfaches über jenen der 55-64-Jährigen. Bei den übrigen Ländern ist die Relation zwischen der TEA-Quote der 18–24-Jährigen zu jener der 55-64-Jährigen aber sehr verschieden. In einer zunehmenden Zahl an Staaten (unter anderem in Frankreich, Zypern, Katar, der Schweiz, Israel und vor allem Südkorea) gründen Ältere mittlerweile häufiger als Jüngere, wobei meist beide TEA-Quoten relativ niedrig sind. In Deutschland sind Gründer unter den 18-24-Jährigen mit 3,4% genauso häufig vertreten wie unter den 55-64-Jährigen. Aufgrund der Alterung der deutschen Bevölkerung stellen Gründungsaktivitäten der Älteren zumindest potenziell eine wichtige Säule der Gründungsaktivitäten insgesamt dar. Die überwiegend sehr jungen Flüchtlinge werden das Gesamtbild kurzund mittelfristig nicht spürbar ver- ändern können (siehe dazu auch Kapitel 3.2).
Abb. 6: TEA-Gründungsquoten für zwei Altersgruppen in den 24 innovationsbasierten GEM-Ländern 2017
3.2 Gründungsverhalten der Migranten in Deutschland
Migranten und Personen mit Migrationshintergrund bilden eine ökonomisch wichtige und gründungspolitisch interessante Bevölkerungsgruppe mit viel Potenzial (vgl. Sternberg/von Bloh 2017). Es lohnt sich daher, das Gründungsverhalten von Migranten, hier definiert als „nicht in Deutschland geborene Person“, etwas näher zu betrachten.
Tendenziell haben Migranten in Deutschland eine höhere Gründungsneigung als Nicht-Migranten. Seit das deutsche GEM-Team Informationen bzgl. des Migrationshintergrundes erfasst, lag der Mittelwert der TEA-Quote der Migranten immer erkennbar über der der Nicht-Migranten. Einschränkend muss erwähnt werden, dass dieser Unterschied nur in einigen Jahren statistisch signifikant ist. Weil die absolute Zahl an Migranten in der Stichprobe erheblich kleiner ist als die der Nicht-Migranten, sind die Konfidenzintervalle (für 5% Irrtumswahrscheinlichkeit) für die Gruppe der Migranten deutlich größer (vgl. Abb. 7). Zwar sind die Gründungsquoten sowohl der Migranten als auch der Nicht-Migranten nach einem deutlichen Rückgang gegenüber den Vorjahren zuletzt wieder leicht gestiegen, jedoch befinden sich beide Gruppen im internationalen Vergleich weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau. Die fünf in der GEM-Bevölkerungsbefragung 2017 nach Zahlen häufigsten Herkunftsländer der Migranten in Deutschland sind die Türkei, Russland, Kasachstan, Polen und Rumänien. Die fünf absolut häufigsten Herkunftsländer der Migranten, die TEA-Entrepreneure oder Eigentümer und Manager eines etablierten Unternehmens sind, sind Polen, der Iran, die Türkei, Pakistan und Russland.
Abb. 7: TEA-Gründungsquoten der Nicht-Migranten und Migranten in Deutschland 2010-2017
Entgegen der überdurchschnittlichen Gründungsneigung und den damit verbundenen ökonomischen Effekten und trotz der ganz allgemein wichtigen Rolle, die Migranten für die deutsche Wirtschaft spielen, scheint Einwanderung nach Ansicht der 2016 und 2017 vom GEM befragten Experten von der deutschen Bevölkerung tendenziell nicht als wirtschaftlich positiv erachtet zu werden (vgl. GEM-Expertenbefragung 2016 und 2017). Vergleicht man das Verhältnis zwischen Opportunity- und Necessity-Gründungen von Migranten und Nicht-Migranten, so zeigt sich zwar, dass Migranten einen höheren Anteil an Gründungen aus Mangel an Erwerbsalternativen aufweisen (vgl. Abb. 8), allerdings ist dieser Teil längst nicht so ausgeprägt wie häufig angenommen. Migranten tragen also nicht nur über ihre überdurchschnittliche Gründungshäufigkeit, sondern auch über die Qualität ihrer Gründungen (bezogen auf die Gründungsmotivation) zur deutschen Wirtschaft bei. Sie zeigen dabei außerdem gegenüber der einheimischen Bevölkerung keinen erhöhten Gender-Bias beim Gründungsverhalten. Es wäre demnach ratsam, die Potenziale der gründungswilligen Migranten (vgl. hierzu auch Leicht et al. 2016) zu nutzen.
Abb. 8: Opportunityvs. Necessity-TEA
Die Expertenbefragung des GEM ergab für die Jahre 2016 und 2017, dass im Ausland geborene Gründer scheinbar durch Regeln und Gesetze zu Unternehmensgründungen nicht übermäßig gegenüber in Deutschland geborenen Gründern benachteiligt werden. Zudem existieren Beratungskonzepte und Instrumente, die speziell auf die Unternehmensgründung durch Migranten ausgerichtet sind (vgl. GEM-Expertenbefragung 2016 und 2017, jeweils leicht überdurchschnittliche Zustimmung). Allerdings müssen eingewanderte Gründer zum Teil höhere Hürden überwinden, wenn es um die Finanzierung ihrer Gründungsvorhaben geht. Zudem haben sie generell mit „liability of foreignness“ (all jene Schwierigkeiten, die ein einheimischer Gründer in der Regel nicht hat) sowie mit sprachlichen Barrieren zu kämpfen. Dem steht die Hypothese gegenüber, dass Migranten durch ihre andere kontextuelle Sozialisierung eine gegenüber der einheimischen Bevölkerung erhöhte Wahrnehmung bzgl. ökonomischer Chancen haben. Sie können so beispielsweise durch einen „Import von Ideen“ zum Wissenstransfer nach Deutschland beitragen. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob sich die jüngst gestarteten Unternehmungen am Markt durchsetzen können und sich der Trend einer recht frühen Arbeitsmarktintegration durch eine Gründung fortsetzen wird.
Für eine spezifische und effiziente Gründungsförderung von Migranten kann es relevant sein, zu wissen, ob die Gründungsneigung von der seit der Zuwanderung in Deutschland verbrachten Lebenszeit beeinflusst wird, um so den optimalen Zeitpunkt für eine gezielte Förderung abzupassen, sofern es einen solchen gibt. Die bei der GEM-Erhebung im Jahr 2015 beobachtete besonders stark überdurchschnittliche Gründungsneigung der Personen, die seit vier bis sieben Jahren in Deutschland lebten, zeigt sich in den Daten der Erhebung von 2017 nicht in dieser Ausprä- gung (auch nicht bei Auswahl derselben Klassenbreite für die Verweildauer). Allerdings zeigen Migranten im Jahr 2017 ebenfalls in den ersten sieben Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland eine, auch für Migranten, überdurchschnittliche TEA-Quote, die sich nach einer Verweildauer ab acht Jahren in Deutschland und mit einem relativ starken Einbruch für die Aufenthaltsdauer von zwölf bis fünfzehn Jahren an die TEAQuote der einheimischen Bevölkerung anzugleichen scheint (vgl. Abb. 9). Der starke Anstieg der TEA-Quote bei Migranten, die länger als 23 Jahre in Deutschland leben (ihr Alter liegt überwiegend zwischen 35 und 54 Jahren), ist besonders interessant und sollte in den kommenden Jahren mit weiteren Erhebungen verglichen werden. In den Daten der 2015erund 2016erBefragung ist diese Auffälligkeit nicht vorhanden. Die besonders in der Anfangszeit (für Deutschland) hohe Gründungsneigung könnte ein Indiz dafür sein, dass die im Rahmen der jüngsten Migrationsereignisse eingesetzten Maßnahmen und Instrumente eine unternehmerische Selbstständigkeit fördern. Die jüngst in Deutschland angekommenen Flüchtlinge können dabei allerdings zum überwiegenden Teil nicht zu den erfassbaren Probanden des GEM gehören und sich in diesen Daten also nicht direkt widerspiegeln. Die eigene Gründung muss mitnichten für jeden Migranten, wie auch für die Nicht-Migranten, die optimale Wahl der Beschäftigung sein. Das Potenzial derjenigen, die gründungswillig und -fähig sind, sollte jedoch erschlossen werden.
Abbildung 9 zeigt außerdem den Prozentanteil derjenigen Migranten, die ein eigenes Unternehmen besitzen und führen, welches älter ist als 3,5 Jahre (sie sind also nach GEM-Definition keine TEA-Gründer mehr, sondern Owner-Manager, erfasst in der ESTBUSO-Quote).
Auffällig ist, dass Owner-Manager nur unter jenen Migranten zu finden sind, die mindestens seit zwölf Jahren in Deutschland leben. Dies ist zwar zum Teil der Definition und den betrachteten Zeitspannen geschuldet (das Unternehmen muss bereits 3,5 Jahre existieren, exklusive Vorgründungsphase), lässt andererseits allerdings den Rückschluss zu, dass Migranten in der Regel keine eigenen Unternehmen mitbringen bzw. eine im Heimatland gestartete Unternehmung in Deutschland nicht weiterbetreiben oder zumindest nicht weiterführen oder nicht weiterbesitzen. Die mit Anstieg der Verweildauer wachsende ESTBUSOQuote (also die Quote an Personen zwischen 18 und 64 Jahren, die ein eigenes Unternehmen besitzen und führen) ist erfreulich, zum Teil jedoch sicher auch Alterseffekten geschuldet.
Abb. 9: Gründungsquoten von Migranten nach Anzahl der Lebensjahre in Deutschland 2017
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