Die Stärken und Schwächen des Gründungsstandortes Deutschland
In welchem Kontext wird gegründet?
Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen eines Landes oder einer Region umfassen insbesondere politische, ökonomische, soziale und kulturelle Kontextfaktoren. Sie nehmen Einfluss auf die Quantität und Qualität von Unternehmensgründungen. Im Einzelfall geht es darum, ob sich eine Person für eine selbstständige Tätigkeit entscheidet und inwieweit diese erfolgreich verläuft. Grundsätzlich gilt: Gründungsbezogene Rahmenbedingungen entfalten ihre Wirkung immer im wechselseitigen Zusammenspiel. Für die Analyse ist es jedoch hilfreich, eine individuelle Betrachtung vorzunehmen.
Diesen Rahmenbedingungen widmet sich der National Expert Survey (NES) des GEM. Beim NES werden pro GEM-Land und Erhebungsjahr mindestens 36 Gründungsexperten befragt. 2018 hatten sich an der Befragung in Deutschland 53 Experten beteiligt. Ziel der Befragung war es, für jede betrachtete Rahmenbedingung zu ermitteln, ob diese nach Meinung der Experten eher negativ oder positiv ausgeprägt ist und welche Bedeutung sie für den Gründungsstandort Deutschland hat (vgl. Anhang).
Insgesamt erfolgte für den vorliegenden Länderbericht die Bewertung von 20 gründungsbezogenen Rahmenbedingungen. Die Zusammensetzung der Bündel an positiven und negativen Rahmenbedingungen ist über die vergangenen Jahre relativ konstant geblieben (vgl. Abbildung 13).
Als gründungsfreundlich wird der Markt für Innovationen eingeschätzt (Wertschätzung neuer Produkte und Dienstleistungen), sowohl im Segment der Konsumenten als auch bei den Geschäftskunden. Die Wettbewerbssituation und die Zugangshürden für Gründer (Marktdynamik und Marktzugang) erhalten von den befragten Experten eine deutlich bessere Bewertung als im vorangegangenen Jahr. In der Kombination lassen diese drei Rahmenbedingungen auf ein attraktives Umfeld für neue Produkte und Dienstleistungen schließen. Dabei können sich die Gründer und jungen Unternehmen auf einen wirkungsvollen Patent- und Markenschutz verlassen (Schutz geistigen Eigentums) und auf effektiv gestaltete Förderprogramme zurückgreifen. Die Infrastruktur, hierzu zählen das Verkehrsund das Kommunikationsnetz, wird ebenfalls positiv bewertet, fällt jedoch im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurück. Keine Bewertung einer anderen Rahmenbedingung hat sich so stark verschlechtert. Der internationale Vergleich offenbart hier mittlerweile komparative Schwächen für den Gründungsstandort Deutschland. In der Wahrnehmung der in Deutschland befragten Experten scheint es Lücken gegenüber anderen Ländern u. a. bei der Bereitstellung von Glasfasertechnik, aber auch bei der Verbreitung von Breitbandtechnologien, vor allem für die mobile Kommunikation, zu geben.
Deutschland weist ein attraktives Umfeld für neue Produkte und Dienstleistungen auf. Dabei können sich Gründer auf einen wirkungsvollen Patent- und Markenschutz verlassen.
Es zeigt sich, dass die Anstrengungen, die Gründungsausbildung zu verbessern, nur langsam Früchte tragen.
Als hemmende Faktoren für das Gründungsgeschehen in Deutschland wird die schulische Gründungsausbildung, aber auch die gründungsorientierte Ausbildung an Universitäten und Hochschulen gesehen. Beide Rahmenbedingungen erhalten seit dem Beginn der GEM-Datenerhebungen im Jahr 1999 negative Bewertungen. Es zeigt sich, dass die Anstrengungen, die Gründungsausbildung zu verbessern, nur langsam Früchte tragen. Seit 1998 wurden in Deutschland 141 Entrepreneurship-Professuren an Hochschulen und Universitäten etabliert (vgl. FGF e.V. 2019). Teilweise erfolgte auch an Schulen eine Stärkung der wirtschaftsorientierten Ausbildung. Die Bewertung für diese beiden Rahmenbedingungen (außerschulische und schulische Gründungsausbildung) hat sich im Vergleich zu den Vorjahren leicht verbessert. Der Wert für die außerschulische Gründungsausbildung verbesserte sich von -0,73 im Jahr 2015 auf -0,5 im Jahr 2018. Im gleichen Zeitraum kletterte der Wert für die schulische Gründungsausbildung von -2,33 auf -1,95.
Der Arbeitsmarkt, geprägt durch einen fortdauernden Stellenaufbau, ist aus Sicht der befragten Experten ebenso kontraproduktiv für ein dynamisches Gründungsgeschehen. In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland jährlich mehrere hunderttausend neue Stellen geschaffen, hierbei entfällt ein beträchtlicher Anteil auf Großunternehmen mit häufig attraktiven Arbeitsbedingungen. Die Zahl der Arbeitnehmer soll auch in den nächsten Jahren weiter wachsen (vgl. Schwahn et al. 2018). Die Steuergesetzgebung wird aufgrund ihrer Komplexität und strengen Vorgaben zur Umsatzsteuervorauszahlung ebenfalls als hinderlich für das Gründungsgeschehen bewertet. Auch die gesellschaftlichen Werte und Normen werden als Hemmnis für eigene unternehmerische Aktivitäten gesehen. Vonseiten der Experten werden häufig mangelnde Fehlerkultur und der gesellschaftliche Umgang mit dem Scheitern einer Gründung bemängelt.
Seit dem letztjährigen Länderbericht 2017/2018 erfolgt eine ergänzende Aufbereitung der Experteneinschätzungen. Neben den Abweichungen vom theoretischen Mittelwert werden die Bewertungen der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen zusätzlich in Prozentwerten dargestellt. Die Verteilung der Antworten je Rahmenbedingung wird somit erkennbar. Hierbei kommt eine fünfstufige Skala zur Anwendung. Die gründungsbezogenen Rahmenbedingungen werden als „negativ“, „eher negativ“, „teils teils“, „eher positiv“ oder „positiv“ bewertet (vgl. Abbildung 14).
Der Schutz geistigen Eigentums und die Wertschätzung neuer Produkte aus Konsumentensicht erhalten in dieser Auswertung die besten Bewertungen. Jeweils über 70 % der Experten schätzen diese beiden Rahmenbedingungen als „eher positiv“ oder „positiv“ ein. Die physische Infrastruktur und öffentliche Förderprogramme folgen mit jeweils über 60 % in den beiden Kategorien. Am unteren Ende steht abgeschlagen die schulische Gründungsausbildung mit mehr als 80 % in den Kategorien „negativ“ und „eher negativ“. An vorletzter Stelle liegt der Arbeitsmarkt, der von 66 % der Experten im Hinblick auf das Gründungsgeschehen als negativ bewertet wird. Von besonderer Bedeutung für den Gründungsstandort Deutschland sind für die Experten die schulische und außerschulische Gründungsausbildung sowie die gesellschaftlichen Werte und Normen, also Rahmenbedingungen mit einer überwiegend negativen Bewertung. Auch dem Punkt „Marktdynamik und Marktzugang“ wird eine hohe Bedeutung für das Gründungsgeschehen zugewiesen.
Die Gründungsausbildung, die gesellschaftlichen Werte und der Marktzugang haben für den Gründungsstandort Deutschland eine besonders hohe Bedeutung.
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