GEM 2019 – Konzept, Methodik, Daten

Die empirische Basis des GEM

Damit in gleicher Weise Gründungsaktivitäten und Einflussfaktoren auf Gründungen in den unterschiedlichen Ländern erfasst werden können, bedarf es eines international koordinierten Erhebungsdesigns. Da es für Gründungen sowie für die Einschätzung gründungsbezogener Rahmenbedingungen keine vergleichbaren Statistiken auf globaler Ebene gibt, die für die Ziele dieses Projektes herangezogen werden könnten, führt der GEM eigene Primärerhebungen in den teilnehmenden Ländern durch. Ein komparativer Vorteil des GEM gegenüber anderen Datenquellen für Gründungsaktivitäten besteht darin, dass solche standardisierten Erhebungen in allen Ländern stattfinden und im selben Zeitraum exakt dieselben Fragen an einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung sowie an systematisch ausgewählte Expertinnen und Experten gerichtet werden. Der GEM untergliedert sich in zwei Teile: Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, Adult Population Survey (APS) sowie eine Expertenbefragung, National Expert Survey (NES). Beide Erhebungen bzw. Datenquellen werden im Folgenden dargestellt.

Bevölkerungsbefragung – APS

Für die Bevölkerungsbefragung des GEM (APS) wird eine repräsentative Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung (18 bis einschließlich 64 Jahre alt) gezogen. Aufgrund dieser Daten lässt sich ermitteln, wie hoch der Anteil der Personen in der Bevölkerung ist, die aktuell in die Gründung eines Unternehmens involviert sind, eine solche Gründung planen oder bereits durchgeführt haben. Darüber hinaus wird eine Fülle weiterer Daten erhoben, wie etwa die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Selbstständigen und Gründenden, die Angst vor dem Scheitern als Gründungshemmnis oder (zumindest in einigen Ländern) die Frage nach einem Migrationshintergrund.

Die in der Regel telefonische Befragung zufällig ausgewählter Haushalte und Befragungspersonen erfolgte im Jahr 2019 eng koordiniert und mit gleichem Fragebogen in 50 Volkswirtschaften. Insgesamt wurden weltweit 154.991 Personen befragt. Abweichend von der telefonischen Erhebungsmethode wurde der APS in einigen wenigen Ländern online durchgeführt. In seltenen Fällen erfolgten die Interviews persönlich (face to face), falls über Telefonate keine repräsentative Stichprobe gewährleistet werden konnte. Die vom GEM-Konsortium für jedes Land vorgegebene Mindestgröße der Stichprobe liegt bei 2.000 erfolgreich durchgeführten Interviews – und die Methodik jedes Landes wird seitens des Global-Teams auf Korrektheit und Konformität überprüft.

In Deutschland fand die jüngste Befragung in Form einer computergestützten telefonischen Primärbefragung vom 21. Mai bis zum 17. Juli 2019 statt. Die Durchführung erfolgte, im Auftrag des Instituts für Wirtschafts- und Kulturgeographie der Leibniz Universität Hannover, durch das Sozialforschungsinstitut uzbonn (Gesellschaft für empirische Sozialforschung und Evaluation). Insgesamt wurden 36.076 Haushalte kontaktiert (ohne neutrale Drop-outs, also zum Beispiel eine Nummer die zu einem Fax-Gerät gehört), in 3.002 Fällen konnte ein auswertbares Interview durchgeführt werden. Dies entspricht einem Ausschöpfungsgrad von 8,32 %. 1.731 der 3.002 Interviews (57,6 %) wurden, als Ergänzung der Festnetztelefonate, über eine Mobilfunk-Stichprobe gezogen, um dem unter Jüngeren deutlich geringeren Festnetzanteil gerecht zu werden. Die Verteilung der Interviews auf die Bundesländer ist proportional zur tatsächlichen Verteilung der Bevölkerung. Weitere Schichtungsvariablen sind das Haushaltseinkommen, das Geschlecht und das Lebensalter. Um die Repräsentativität der Stichprobe zu gewährleisten, wurde zum einen für einen geringen Prozentsatz der Stichprobe die Methode „modified last birthday“ genutzt (Befragung der Person im Haushalt, die als letztes Geburtstag hatte, um eine Zufallsauswahl im Haushalt zu gewährleisten) und zum anderen wurden die erfassten Fälle, wie bei solchen Befragungen üblich, gewichtet (kombinierte Design- und Nonresponse-Gewichtung).

Diese Erhebungen sind die Basis für diverse Maßzahlen der Gründungsaktivität, von denen die drei wichtigsten nachfolgend vorgestellt werden. Die nur im GEM verfügbare Gründungsquote der Nascent Entrepreneurs (werdende Gründende) ist definiert als der Prozentanteil der 18–64-Jährigen, die

  • a) zum Zeitpunkt der Befragung versuchen, alleine oder in Partnerschaft ein neues Unternehmen zu gründen (hierzu zählt jede Art selbstständiger Tätigkeit),
  • b) in den letzten zwölf Monaten etwas zur Unterstützung dieser Neugründung unternommen haben (zum Beispiel durch die Suche nach Ausstattung oder Standorten, Organisation eines Gründungsteams, Erarbeitung eines Geschäftsplans, Bereitstellung von Kapital),
  • c) die Inhaberoder Teilhaberschaft im Unternehmen anstreben und
  • d) während der letzten drei Monate keine Vollzeitlöhne oder -gehälter bezahlt haben.

Die Gründungsquote der Young Entrepreneurs (Gründende junger Unternehmen) ist definiert als der Prozentanteil der 18–64-Jährigen, die

  • a) Inhabende oder Teilhabende eines bereits bestehenden Unternehmens sind, bei dem sie in der Geschäftsleitung mithelfen und
  • b) aus diesem Unternehmen nicht länger als dreieinhalb Jahre Gehälter, Gewinne oder Sachleistungen erhalten haben.

Die Total early-stage Entrepreneurial Activity (TEA) stellt die Gesamtheit der beiden vorgenannten Personengruppen dar, aber nicht die Gesamtheit der Gründungen. Personen, die sowohl werdende Gründende als auch neue Gründende sind, werden nur einmal gezählt. Dies erklärt, warum die Quotensumme der Nascent Entrepreneurs und der Young Entrepreneurs größer ist als die TEA-Quote.

Im GEM werden auch etablierte Gründungen erfasst. Diese werden von Personen geführt, die schon seit mehr als dreieinhalb Jahren Gehälter, Gewinne oder Sachleistungen aus der Gründung zahlen bzw. erhalten, die Inhabende oder Teilhabende sind und sich in der Geschäftsleitung aktiv verantworten.

Expertinnen- und Expertenbefragung - NES

Die zweite empirische Säule des GEM bildet die Befragung von Gründungsexpertinnen und -experten. Dieser National Expert Survey (NES) ist eine in allen beteiligten GEM-Ländern in weitgehend gleicher Form durchgeführte schriftliche (online oder postalisch) und zum Teil auch persönliche Befragung. Der NES dient der Einschätzung gründungsbezogener Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern. Rahmenbedingungen wie gesellschaftliche Werte und Normen, Arbeitsmarkt, öffentliche Förderprogramme oder auch Marktzugangsbarrieren haben als Kontextfaktoren direkten und indirekten Einfluss auf das Gründungsgeschehen eines Landes. Für den NES werden Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik interviewt, die sich intensiv mit dem Thema Unternehmensgründung auseinandersetzen und somit einen breiten Überblick über das Gründungsgeschehen im jeweiligen Land vorweisen können. Hierbei kommt ein standardisierter und in die jeweilige Landessprache übersetzter Fragebogen zum Einsatz. Ausgewählt werden die Teilnehmenden nach einem in allen Ländern einheitlichen Schlüssel. Es werden in jedem Land mindestens 36 Personen befragt, von denen jeweils mindestens vier Personen für je eine der gründungsbezogenen Rahmenbedingungen spezialisiert sind. Insgesamt wurden 2019 in 54 Ländern 2.315 Interviews geführt. In Deutschland beantworteten 66 Gründungsexpertinnen und -experten aus unterschiedlichen Regionen die Fragen. Dabei bewerteten die Befragten Einzelaussagen zu gründungsbezogenen Aspekten auf einer Skala von 0 (vollkommen falsch) bis 10 (vollkommen wahr). Jeweils drei bis neun dieser Einzelaussagen werden zu einer von im Kern zwölf gründungsbezogenen Rahmenbedingungen zusammengefasst und über einen Indexwert quantifiziert. Der Indexwert für die jeweilige Rahmenbedingung wird über die Berechnung des arithmetischen Mittels durchgeführt, d. h. die Bewertungen der einzelnen Aussagen gehen gleichgewichtig in die Indizes ein.

Dass nicht alle Rahmenbedingungen für den Gründungsstandort Deutschland gleich relevant sind, ist eine plausible Annahme. Daher bewerten die Befragten zusätzlich jede Rahmenbedingung hinsichtlich ihrer gründungspolitischen Relevanz auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr hoch) und werden anschließend gebeten, unter den Rahmenbedingungen in Deutschland die drei wichtigsten Gründungshemmnisse und Gunstfaktoren zu identifizieren. Die international standardisierte Befragung erlaubt einen länderübergreifenden Vergleich der Bewertung gründungsbezogener Rahmenbedingungen. Die relative Positionierung des Gründungsstandortes Deutschland bei der jeweiligen Rahmenbedingung erfolgt durch die Differenz zwischen dem Indexwert Deutschlands und dem arithmetischen Mittel der übrigen Länder.

Kategorisierung für den Vergleich der GEM-Länder

Die 54 (NES) bzw. 50 (APS) 2019 am GEM teilnehmenden Länder werden gemäß der Kategorisierung des World Economic Forums in drei Gruppen unterteilt. Dies macht insbesondere deshalb Sinn, weil Gründungsaktivitäten in diesen drei Gruppen sehr unterschiedliche Funktionen besitzen. Mit anderen Worten: Dieselbe Gründungsquote hat in den verschiedenen Ländergruppen eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Die erste Gruppe besteht aus Ländern mit geringer Wirtschaftskraft und wird entsprechend betitelt als Länder mit niedrigem Einkommenslevel. Zur zweiten Gruppe zählen Volkswirtschaften, deren Einkommenslevel im mittleren Bereich liegt. Dem höchsten Entwicklungsgrad sind Länder zugeordnet, die eine Volkswirtschaft mit hohem Einkommenslevel aufweisen. Deutschland gehört zur Gruppe der Volkswirtschaften mit hohem Einkommen. Von den 54 am GEM NES 2019 beteiligten Ländern zählen außer Deutschland 33 weitere Länder zu den Ländern mit hohem Einkommen. Bei den am GEM APS 2019 beteiligten Ländern sind es neben Deutschland 32 Volkswirtschaften, die der hohen Einkommensgruppe zugeordnet sind.

Artikel in Fachzeitschriften

GEM-Berichte und -Daten finden nicht nur auf Ebene der Nationalstaaten in der Politik, bei Wirtschaftsförderungen und Beratungen Verwendung, sondern werden auch häufig für wissenschaftliche Publikationen herangezogen. Nur GEM-Mitglieder können mit den ganz aktuellen Daten rechnen. Allerdings sind sowohl NES- als auch APS-Datensätze, die älter sind als drei Jahre, in vollem Umfang für sehr viele Jahre komplett frei verfügbar (www.gemconsortium. org) und können von Forschenden weltweit eingesehen, heruntergeladen und genutzt werden. Das Erlangen und die Verbreitung von Forschungserkenntnissen rund um das Thema Entrepreneurship sind Hauptziele des GEM-Projektes. Durch professionelle Review-Verfahren können insbesondere wissenschaftliche Fachjournale zu einer hohen Qualität und zur Verbreitung von Studien mit GEM-Daten beitragen. Nachfolgend finden sich einige exemplarische Beispiele für wissenschaftliche Publikationen aus SSCI-gerankten Journals. Alle aufgelisteten Artikel wurden 2019 oder 2020 publiziert und nutzen GEM-Daten. Insgesamt zeigt die große thematische und methodische Vielfalt der Artikel, die Interdisziplinarität in der empirischen Gründungsforschung und die Nutzung der GEM-Daten auch in der Forschung von Wirtschaftsgeografie, Volkswirtschaftslehre, Management, Psychologie oder Soziologie.

Crecente-Romero, F., Giménez-Baldazo, M. & del Val-Núñez, M.T. (2019): Competitiveness and entrepreneurship rate in Europe during the economic recovery phase, 2012–2016. International Entrepreneurship Management Journal 15, 455-470. 

Simmons, S.A., Wiklund, J., Levie, J., Bradley, Sunny, S. (2019): Gender gaps and reentry into entrepreneurial ecosystems after business failure. Small Business Economics 53, 517-531. 

Sir, N., Nikolaev, B.N., Wincent, J. (2019): Entrepreneurship and well-being: The role of psychological autonomy, competence, and relatedness. Journal of Business Venturing 34(5). https://doi.org/10.1016/j.jbusvent.2018.05.002

Urbano, D., Guerrero, M., Ferreira, J.J., Fernandez, C. (2019): New technology entrepreneurship initiatives: Which strategic orientations and environmental conditions matter in the new socio-economic landscape? Journal of Technology Transfer 44, 1577602. 

Wyrwich, M., Sternberg, R., Stuetzer, M. (2019): Failing role models and the formation of fear of entrepreneurial failure: a study of regional peer effects in German regions. Journal of Economic Geography 19(3), 567-588. https://doi.org/10.1093/jeg/lby023

Bereits zu Beginn des 2019er GEM-Zyklus stieß Lennard Stolz, als Doktorand am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie beschäftigt, zum Team, für das er auch als Autor des vorliegenden Berichts mitwirkte. Zudem gehört seit Anfang 2020 Prof. Simone Chlosta zum deutschen GEM-Team, als neue Leiterin des Fachbereichs Gründung beim RKW Kompetenzzentrum in Eschborn.

Beim Annual Meeting der GEM-Länderteams Anfang 2019 in Santiago de Chile war das deutsche Team mit drei Mitgliedern und einem Vortrag vertreten. Johannes von Bloh stellte einen zusammen mit Alicia Coduras und Rolf Sternberg entwickelten innovativen Ansatz zur Messung regionaler Gründungsökosysteme (Entrepreneurial Eco-Systems) vor. Der dort präsentierte Entrepreneurial Eco-System Index (ESI) basiert auf von ausgewählten GEM-Länderteams erhobenen Daten und wurde in den Pilotregionen Hannover, Madrid und Katalonien erfolgreich getestet. Die Methodik wurde in einem kürzlich veröffentlichen Fachartikel in der Zeitschrift für Wirtschaftsgeografie vorgestellt (Sternberg, von Bloh and Coduras 2019). Aufgrund des erfolgreichen Tests des Verfahrens in den drei genannten Regionen und nach Entwicklung eines ESI-Manuals hatte das GERA Board Anfang 2019 grünes Licht für die erste Anwendung der ESI-Methodik in weiteren Regionen weltweit gegeben. Diesem Aufruf sind 2019 elf Regionen gefolgt. Über die Ergebnisse dieses zweiten Pilotjahres des ESI hat Rolf Sternberg gemeinsam mit Alicia Coduras die GEM-Länderteams anlässlich des Annual GEM Coordination Meetings im März 2020 in Miami ausführlich informiert. Für Herbst 2020 ist die Publikation des ersten Global Reports zum Entrepreneurial Eco-System Index (ESI) geplant, den der Leiter des deutschen GEM-Teams gemeinsam mit seinem israelischen Kollegen Ehud Menipaz schreiben wird.

Am 14. Mai 2019 wurde der GEM-Länderbericht Deutschland 2018/19 in Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben der Präsentation der Kernergebnisse durch Mitglieder des Länderteams kamen zahlreiche Gründungspersonen und Vertreterinnen und Vertreter der Gründungsförderung zu Wort. In entspannter Start-up-Atmosphäre im Transformationswerk Hannover gab es darüber hinaus eine Podiumsdiskussion, unter anderem unter Beteiligung von Andreas Lenz, t3n, und Prof. Rolf Sternberg. Zudem stellte Johannes von Bloh den erwähnten neuen Ansatz zur Messung regionaler Gründungsökosysteme vor. Dieser fand regen Anklang beim Fachpublikum vor Ort. Für Anfragen bezüglich dieses Ansatzes zur Messung der Qualität des Gründungsökosystems steht der Leiter des deutschen GEM-Teams unter sternberg@wigeo.uni-hannover.de zur Verfügung.

Neben der genannten Journalpublikation verdienen weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen unter Verwendung der deutschen GEM-Daten aus der Feder von Mitgliedern des deutschen GEM-Teams 2019 Erwähnung. Der Journalbeitrag von Michael Wyrwich (Groningen), Michael Stützer (Mannheim) und Rolf Sternberg zur ambivalenten Rolle von Role Models für regionale Gründungsprozesse am Beispiel deutscher Regionen, der im letztjährigen Bericht schon kurz dokumentiert wurde, ist mittlerweile mit allen bibliometrischen Details und als Open-Access-Version im „Journal of Economic Geography“ veröffentlicht worden. Die relative Innovativität sogenannter „Senior Entrepreneurs“ steht im Mittelpunkt eines Buchbeitrags, den Rolf Sternberg kürzlich im „Handbook of Entrepreneurship and Aging“ veröffentlicht hat (Sternberg 2019). Zu den wissenschaftlichen Vorträgen von Mitgliedern des deutschen GEM-Teams im Referenzjahr 2019 gehören zudem die Präsentationen von Rolf Sternberg zu „Role models, fear of failure and entrepreneurship: why the regional context matters“ am Regional Innovation and Entrepreneurship Research Center (RIERC) der Universität Pécs (Ungarn) im Februar 2019 (siehe auch www.youtube.com) sowie zum Thema „Gründungsaktivitäten, Unternehmensbestand und -nachfolge“ anlässlich der Fachtagung „Vitale Gründungslandschaft – Inclusive Entrepreneurship“ des Social Impact Lab Frankfurt/M., ebenfalls im Februar 2019.

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