Einschätzung der Gründungs- und Innovationskompetenz in der deutschen Bevölkerung
Die sich verändernden Arbeitswelten erfordern ständig neue Kompetenzen. Dieser Prozess der fortdauernden Anpassung und des Dazulernens ist keineswegs neu und seit jeher ein integrativer Bestandteil beruflicher Laufbahnen. Technologischer Fortschritt führt zunächst häufig zu mehr Komplexität und Unsicherheit. So ist es auch bei der aktuell voranschreitenden Digitalisierung, die offenbar eine höhere Geschwindigkeit, neue Kooperationsformen und vor allem große Datenvolumina in den Arbeitsalltag gebracht hat. Mit Bezug auf Gründungen haben insbesondere internetorientierte Vorhaben profitiert, denn Rechen- und Speicherkapazitäten stehen im Vergleich zur Jahrtausendwende nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Welche Kompetenzen sind in einem Arbeits- und Gründungsumfeld gefragt, das zunehmend durch digitale Medien und Prozesse definiert wird?
Im Hochschul-Bildungs-Report 2020 werden sogenannte „Future Skills“ definiert. Future Skills sind in dieser Studie Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften, die in den nächsten fünf Jahren für das Berufsleben und/oder die gesellschaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden – und zwar über alle Branchen und Industriezweige hinweg (vgl. Stifterverband 2019). Hierzu gehören unter anderem „Technological Skills“. Diese umfassen neuestes (informationstechnologisches Fachwissen und seine praktische Anwendung, also auch die Fähigkeit zum Programmieren. Eine weitere Kategorie sind die sogenannten „Classical Skills“. Diese meinen beispielsweise Adaptionsfähigkeit, Kreativität und Durchhaltevermögen.
Im Zuge der GEM-Bevölkerungsbefragung wurden die Befragten gebeten, ihre persönlichen Kompetenzen einzuschätzen. Konkret war zunächst eine Einschätzung ihrer digitalen Kompetenzen, unter anderem ihrer Grundfertigkeiten im Programmieren, gefragt. Knapp über 65 % gaben an, dass sie keine entsprechenden Fähigkeiten vorweisen können, also etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Demgegenüber stehen 26 % der Befragten, die ihre digitalen Kompetenzen positiv einschätzen. Auch im Rahmen der Initiative D21 e.V. (2020) wird die Verbreitung digitaler Kompetenzen in der Gesellschaft gemessen: 44 % gelten als „Digitale Vorreiterinnen und Vorreiter“, die sich durch eine vielfältige Internetund Gerätenutzung auszeichnen und Veränderungen durch die Digitalisierung positiv gegenüberstehen. 38 % werden als „Digital Mithaltende“ eingestuft, mit einer konservativen Haltung gegenüber digitalen Dienstleistungen und Netzwerken. Die kleinste Gruppe sind „Digital Abseitsstehende“ mit 18 %, die das Internet als zu kompliziert erachten und viele Begriffe nicht verstehen (Initiative D21, 2020). Im Vergleich zur GEM-Bevölkerungsbefragung ist der Wert für die „Digitalen Vorreiterinnen und Vorreiter“ somit deutlich höher. Es ist darauf hinzuweisen, dass hier lediglich Anwendungskompetenzen abgefragt wurden und die Grundfertigkeiten im Programmieren nicht im Fokus standen.
Immerhin 26 % der weiblichen und männlichen Befragten schätzen ihre digitalen Kompetenzen positiv ein. Etwas mehr als 57 % geben an, dass sie die Kreativität und Fähigkeit, aus Ideen einen wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen, besitzen.
Im zweiten Schritt wurden die Befragten gebeten, ihre Kreativität und Fähigkeit, aus Ideen einen wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen, einzuschätzen. Etwas mehr als 57 % der Befragten geben an, entsprechende Kompetenzen zu besitzen. Der Anteil der Befragten, die sich diese Fähigkeiten nicht zuschreiben, liegt bei 26 %. Mit Bezug auf die im Hochschul-Bildungs-Report 2020 (Stifterverband 2019) definierten Fähigkeiten lässt sich aus den Zahlen ableiten, dass sich immerhin ein Viertel der Bevölkerung technologische Fähigkeiten und deren praktische Anwendung zutrauen. Die Einschätzung der Kreativität und der Schaffung eines wirtschaftlichen Mehrwertes ist eher den oben genannten „klassischen Fähigkeiten“ zuzuordnen. Diese sind somit in der Bevölkerung deutlich weiterverbreitet als technologische Fähigkeiten. Sowohl technologische als auch kreative Kompetenzen können im Rahmen von Gründungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Fähigkeiten – zumindest in der Selbsteinschätzung der Bevölkerung – deutlich häufiger anzutreffen sind, als die Gründungsquote vermuten lässt. Da die Gründung eines Unternehmens ein hochkomplexer Prozess ist, sind hier auch andere Faktoren für ein Gründungsvorhaben entscheidend als nur persönliche Merkmale potenzieller Gründerinnen und Gründer.
Vonseiten der GEM-Expertinnen und -Experten wird der Bevölkerung in Deutschland eher eine schwache Gründungsund Innovationskompetenz zugeschrieben. Am besten schneiden die technologischen Fähigkeiten zur Schaffung von Innovationen im Bereich Umweltschutz ab. Diese werden von knapp 50 % relativ positiv bewertet (vgl. Abbildung 27). Bei allen weiteren Kompetenzen überwiegen negative Bewertungen: Das proaktive Ausnutzen sich bietender wirtschaftlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit als auch die Fähigkeit zur Identifizierung neuer Marktchancen werden jeweils von über 50 % der Befragten negativ beurteilt. Auch die Fähigkeit zur korrekten Risikoeinschätzung bei wirtschaftlichen Entscheidungen erhält mit 40 % der Befragten eher eine negative Bewertung. Auf den ersten Blick wirkt das Bild der GEM-Expertinnen und -Experten nicht vollständig konsistent mit den Einschätzungen aus der Bevölkerungsbefragung. Möglicherweise beeinflusst die relativ niedrige Gründungsquote bzw. ein schlechtes Bild schulischer Gründungsausbildung in Deutschland die Einschätzung. Insgesamt könnten die Ergebnisse dahingehend interpretiert werden, dass die Gründungskompetenzen in der Bevölkerung tendenziell unterschätzt werden. Hier stellt sich auch die Frage, wenn es nicht an mangelnden Gründungskompetenzen der Bevölkerung liegt, welche anderen Ursachen für die im Vergleich zu anderen Ländern mit hohem Einkommen geringe Gründungsquote in Deutschland ausschlaggebend sind (vgl. dazu auch die Interpretation der Daten der Bevölkerungsbefragung in den Kapiteln 3 und 4).
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