Gründungsmotive der TEA-Gründenden in den einkommensstarken Ländern 2019
In der Regel hat eine Gründungsperson mehrere Motive, aus denen heraus sie sich unternehmerisch zukünftig eventuell selbstständig machen möchte oder bereits gemacht hat. Diese Motive lassen unter gewissen Umständen Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Umsetzung des Gründungsvorhabens sowie den späteren Erfolg der Gründung zu.
In den früheren GEM-Länderberichten wurde stets nur zwischen zwei Motiven unterschieden, was eine unangemessen scharfe Trennung zwischen „Opportunity Entrepreneurship“ und „Necessity Entrepreneurship“ bedeutete. Nach intensiven Debatten besonders im Research and Innovation Advisory Committee (RIAC) des GEM und in anschließenden Pretests in mehreren Ländern Anfang 2019 wurde innerhalb der globalen GEM-Community entschieden, die Frage zu den Gründungsmotiven grundlegend zu modifizieren. Nunmehr wird zwischen vier Gründungsmotiven unterschieden, die sich explizit nicht ausschließen müssen, sondern von den Befragten einzeln und auf Basis einer Fünfer-Likert-Skala der Zustimmung/Ablehnung bewertet werden. Dieses Kapitel und die Abbildung 9 beschränken sich auf die Anteile an den TEA-Gründenden, die die genannten Motive mit „stimme zu“ oder „stimme voll zu“ (den beiden höchsten der jeweils fünf Noten) bewerten.
Ein Blick auf die Länder mit hohem Einkommen insgesamt zeigt zweierlei. Erstens erscheint es inhaltlich gerechtfertigt, jedes dieser vier neuen Motive abzufragen, denn sie sind in allen Ländern und bei den meisten der Gründungspersonen relevant (mehr oder weniger stark). Es kommt sehr selten vor, dass einzelne dieser Motive von Personen als „stimme überhaupt nicht zu“ bewertet werden. Auch bezogen auf ganze Länder ist die Spannweite jedes dieser Motive sehr groß. So reichen die nationalen Mittelwerte der 33 Länder beim Motiv „Lebensunterhalt verdienen, weil Arbeitsplätze selten sind“ von 16 % in Polen bis zu 90 % in Kolumbien, bei einer hohen Standardabweichung von 19,3 vom Mittelwert. Ähnlich breit ist das Spektrum bei den anderen drei Variablen. Es ist also nicht so, dass dieselben ein oder zwei Motive über alle Länder klar dominieren würden, sondern die Länderdifferenzen sind ebenso erheblich wie die Unterschiede zwischen den Gründenden desselben Landes (zum Beispiel auch in Deutschland).
Zweitens sind für die einkommensstarken Länder insgesamt drei der vier Motive mit globalen Mittelwerten zwischen 46 % („Welt verändern“) und 54 % („Lebensunterhalt verdienen“) deutlich relevanter als „Familientradition fortführen“ (32 %). Zwei dieser drei Motive, „Lebensunterhalt verdienen“ und „gro- ßer Wohlstand oder sehr hohes Einkommen“ sind ökonomischer Natur und kommen der bislang im GEM verwendeten Unterscheidung zwischen Opportunity- und Necessity-Motiven relativ nahe. Die beiden anderen Motive, „Familientradition fortsetzen“ und „Welt verändern“, erreichen aber ebenfalls beachtliche Häufigkeiten sowohl im Mittel der 33 Länder als auch und besonders in einzelnen Ländern, weshalb deren Berücksichtigung bei der Interpretation der Gründungsmotive sinnvoll und notwendig erscheint.
Abbildung 9 vergleicht die Gründungsmotive in Deutschland mit jenen in den USA, in Spanien, im Vereinigten Königreich, in Italien und Polen sowie jeweils mit dem Mittelwert der 33 Referenzländer. Diese Länder sind repräsentativ für bestimmte Motivstrukturen innerhalb der Hocheinkommensländer. Italien steht für Länder, in denen die beiden ökonomischen Motive absolut und relativ sehr wichtig sind, die beiden außerökonomischen dagegen relativ unwichtig. Umgekehrt ist es in Polen, wo die „Fortsetzung der Familientradition“ die höchste Zustimmung als Gründungsmotiv erhält (auch der 33 Länder insgesamt), aber auch das „Verändern der Welt“ für 68 % der TEA-Gründenden sehr wichtig ist. Letzteres gilt ebenso für die USA, die hinsichtlich ihrer Motivstruktur Spanien ähneln. Im Vereinigten Königreich zeigt sich eine relativ ausgeglichene Motivstruktur, nur die „Familientradition“ spielt dort keinerlei Rolle als Gründungsmotiv (zweitkleinster Wert aller 33 Länder).
Deutschlands Gründungspersonen kennzeichnen, verglichen mit den anderen Ländern, relativ hohe Werte für die „Fortführung der Familientradition“: Mehr als zwei Drittel der TEA-Gründungspersonen geben diesem Motiv eine der beiden höchsten Bewertungen; nur in Polen und Irland ist der Wert noch höher. Das andere nicht direkt ökonomische Motiv „Verändern der Welt“ kommt auf einen Mittelwert von 44 % Zustimmung (was dem Wert aller 33 Länder entspricht), dagegen sind die Werte für beide ökonomischen Gründungsmotive deutlich niedriger als in den übrigen Ländern. Nur 43 % (alle Länder: 54 %) stimmen dem Gründungsmotiv „Lebensunterhalt verdienen“ zu und sogar nur 32 % (alle Länder: 55 %) sind es beim Gründungsmotiv „hohes Einkommen“. Diese Daten zeigen deutlich, dass in Deutschland für viele Gründungspersonen nicht unmittelbar ökonomische Motive die wichtigste Rolle spielen, sondern insbesondere die „Fortführung einer Familientradition“. Dies sollten politische Gründungsförderprogramme zukünftig stärker beachten. Das folgende Kapitel wird zeigen, ob und ggf. wie diese Motivstruktur sich in Deutschland zwischen Merkmalen der Gründungsperson unterscheidet.
Die Daten erlauben für Deutschland auch einen Vergleich der Motive der jungen, bereits gegründeten Unternehmen mit jenen der Nascents („werdende Gründende“). Die Befunde sind relativ eindeutig. Für drei der vier Gründungsmotive lassen sich keine wesentlichen Unterschiede in den Prozentanteilen der Bewertungen der beiden höchsten Zustimmungskategorien zwischen Nascents und jungen Gründungen erkennen.
Es macht für die beiden ökonomischen Motive sowie für das Motiv „Welt verändern“ offenbar keinen Unterschied, ob es sich um eine geplante oder eine bereits existierende Gründung handelt. Anders ist dies beim in Deutschland klar häufigsten Gründungsmotiv „Fortsetzen einer Familientradition“. Dessen hoher Wert für die TEA-Gründungen insgesamt ist im Wesentlichen auf die – relativ zahlreichen – Nascents zurückzuführen, von denen fast 83 % dieses Motiv nennen. Bei den jungen Gründungen ist es nur ein Drittel der Befragten. Dies führt zum auffälligen Resultat, dass die „Fortführung der Familientradition“ von den Nascents am häufigsten als ein wichtiges Gründungsmotiv genannt wird, bei den jungen Gründungen jedoch am seltensten (hier entfallen die höchsten Anteile auf das Motiv „Welt verändern“).
Für Deutschlands Gründungspersonen ist die „Fortführung der Familientradition“ wichtigstes Gründungsmotiv, nur in Polen und Irland spielt dies eine noch größere Rolle.
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