Der Blick über den Tellerrand: Gründen in Europa und den USA
Der Blick über den Tellerrand: Gründen in Europa und den USA
Die beiden für Deutschland zuvor beschriebenen Trends, also zurückgehende Gründungszahlen bei gleichzeitigem Anstieg der Gründungsquote der Menschen ab 45 Jahren, lassen sich grundsätzlich in einer anderen Größenordnung auf die EU-27 übertragen.
Das Gründungsinteresse in Europa sinkt…
Laut Eurobarometer ist seit 2004 die Anzahl der Menschen, die die berufliche Selbstständigkeit der abhängigen Beschäftigung vorziehen, in 23 von 27 Mitgliedstaaten gesunken. In der Folge sieht die Gesamtlage derzeit so aus: Während es 2010 noch 45 Prozent der Europäer bevorzugt hätten, selbstständig zu arbeiten, tun das heute nur noch 37 Prozent. Ferner zeigt Europa auch in weiteren relevanten Aspekten der Gründungsdynamik ein vergleichsweise schwaches Bild: Neu gegründete Unternehmen in der EU wachsen langsamer als in den USA oder in Schwellenländern, und weniger von ihnen finden sich unter den weltgrößten Unternehmen, wie dem "Aktionsplan Unternehmertum 2020" zu entnehmen ist (Europäische Kommission, 2013, S.4).
… und die Gründer werden älter
Was die Alterszusammensetzung anbelangt, kann man aus der EUROSTAT Statistik ablesen, dass im Zeitraum 2005 bis 2012 die Altersklassen der Jungen (15 bis 24 Jahre) und jungen Erwachsenen (25 bis 39 Jahre) unter den Selbstständigen an Bedeutung verloren haben (Rückgang von insgesamt 4,5 Prozent). Gleichzeitig wagen mehr Menschen ab 50 Jahren und sogar im Rentenalter (ab 65 Jahren) den Schritt in die Selbstständigkeit (Zunahme von circa drei Prozent und 0,7 Prozent jeweils).
Die länderspezifische Auswertung der Gründungszahlen bestätigt den oben beschriebenen Trend. Ähnlich wie in Deutschland haben Gründer ab 45 Jahren in den anderen europäischen Staaten – sowohl in den wirtschaftsstarken als auch in den krisenbetroffenen Ländern aus dem Süden – so stark aufgeholt, dass sie heutzutage ein breites Segment der Selbstständigen ausmachen.
Altersstruktur der Gründer in Spanien
Als Beispiel für die krisenbetroffenen Ländern wird Spanien näher analysiert. Laut dem entsprechenden GEM-Länderbericht 2012 haben Personen ab 45 Jahren beispielsweise für über ein Viertel der Gründungen (nahezu 30 Prozent) in Spanien gesorgt. In der Festigungs- oder Sättigungsphase von Startups befindet sich diese Altersgruppe sogar in der Mehrheit (etwa 60 Prozent). Das Durchschnittsalter von Gründern in Spanien steigt stetig an und liegt aktuell bei 38,6 Jahren. Anders als in Deutschland liegen die Ursachen für diese Entwicklung dort in der schwierigen Wirtschaftslage und der hohen Arbeitslosigkeit (Hernández et al., 2013, S. 58).
Die Alterszusammensetzung der spanischen Gründer korreliert auffällig mit den unterschiedlichen Phasen des Gründungsvorhabens. Von der Ideenfindungs- bis zur tatsächlichen Umsetzungsphase liegen die jungen Erwachsenen (Altersklasse 25 bis 34 Jahre), allerdings mit leichten Schwankungen, in Führung. Die Jugendlichen (Altersklasse 18 bis 24 Jahre) sind an der Ideenfindungsphase noch stärker beteiligt, ihre Beteiligung reduziert sich allerdings im Verlauf des Gründungsprozesses allmählich. In der Festigungsphase ergibt sich ein völlig anderes Bild: Gründer ab 45 Jahren (Altersklassen 45 bis 54 und 55 bis 64 Jahre) sind hier dominant (57,9 Prozent gesamt), eng gefolgt von der Gruppe der Erwachsenen zwischen 35 und 44 Jahren (29,2 Prozent). Dagegen sind junge Erwachsene (11,8 Prozent) und Jugendliche in dieser Phase wenig bedeutsam (lediglich 1,2 Prozent). Demnach befindet sich der größte Anteil von Menschen ab 45 Jahren in der Festigungsphase, was für die Nachhaltigkeit von Gründungsprojekten dieser Altersgruppe spricht.
Eine andere Gruppe von Ländern, darunter die USA aber auch Österreich und die Schweiz, haben der Trend zu mehr Gründungen im Alter bereits vollzogen.
Altersstruktur der Gründer in der Schweiz
Besonders weit in dieser Entwicklung sind die Schweiz und die USA. In der Schweiz stellen die über 45-Jährigen laut dem entsprechenden GEM Länderbericht 2011 wieder die gründungsstärkste Gruppe. 2010 gab es eine kurze Unterbrechung, in der die 35- bis 44-Jährigen stark aufgeholt haben. Die größten Zuwächse sind dort 2011 im Vergleich zu den Vorjahreswerten in den beiden älteren Altersklassen (45 bis 54 Jahren und 55 bis 64 Jahren) zu verzeichnen; so dass die Zahlen des Jahres 2009 jeweils erneut erreicht werden konnten (Baldegger et al., 2012).
Altersstruktur der Gründer in den USA
In den USA hatte die Altersgruppe der 55-bis 64-Jährigen, die sogenannte "Babyboomer"-Generation, über den gesamten Zeitraum von 1996 bis 2007 eine Gründungsquote um einen Drittel höher als die der Jüngeren zwischen 20 und 34 Jahren und prägte somit die Blütezeit der Gründungen der 90er Jahre (1996-2007) (Stangler, 2009, S.4). Diese Trendwende, bedingt durch eine starke Wirtschaftsrezession, ist im Zusammenhang mit den in dieser Periode eingetretenen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, mit denen die traditionell langjährige Bindung von Arbeitnehmern an einen festen Arbeitgeber durch wechselnde Beschäftigungsverhältnisse ersetzt wurde, zu verstehen.
Heute noch wird in den USA jedes zweite Gründungsvorhaben von einer Person älter als 45 Jahre initiiert. Besonders gut schneiden die Menschen ab 55 Jahren ab, deren Gründungsquote erneut von 14,3 Prozent im Jahr 2006 auf 20,9 Prozent im Jahr 2011 angestiegen ist (Fairlie, 2012, S. 12). Für die nächsten Jahre ist dort angesichts der hohen Lebenserwartung der Bevölkerung mit einer Steigerung der Gründungquote der ältesten Gruppen der Bevölkerungspyramide (ab 64 Jahren) zu rechnen.
Altersstruktur der Gründer in Österreich
Im europäischen Kontext fällt die aktuelle Entwicklung des Gründungsgeschehens in Österreich besonders ins Auge, da sie dem allgemeinen Trend zu mehr Gründungen im Alter zuwiderläuft. Im Jahr 2007 dominierte die Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen mit 35 Prozent der Gesamtgründungen. Gemeinsam mit den Menschen ab 55 bis 64 Jahren haben sie 2007 fast die Hälfte aller Gründungsprojekte angestoßen. Seitdem hat sich die Situation, möglicherweise bedingt durch einen Sättigungseffekt, verändert: Vor allem haben die Jungunternehmer zwischen 25 und 34 Jahren stark zugelegt, bei gleichzeitiger Abnahme der höheren Alterskohorten, was letztlich zu einer "Verjüngung" der Gründungen geführt hat (Schmalzer et al., 2013, S. 31).
Abgesehen vom Einzelfall Österreich, sind die Zukunftsprognosen für Europa, was das Gründen im Alter betrifft, zuversichtlich. "Da in dieser Zeit die für ältere Arbeitssuchende günstigeren Regelungen europaweit tendenziell abgebaut wurden (Europäische Kommission), kann man in Summe von einer mit steigendem Alter, steigenden Wahrscheinlichkeit unternehmerischer Tätigkeit als Existenzgründer ausgehen" (Hatak et al., 2013, S. 12).
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