Schlussfolgerungen
"Die Akzeptanz von Unternehmertum, Entrepreneurship, ist in Deutschland
– über alle Altersgruppen hinweg – hoch“
Bewertung der Ergebnisse
Aus der Auswertung der Befragungsergebnisse kann zunächst eine ganz wichtige Erkenntnis abgeleitet werden: Die Akzeptanz von Unternehmertum, Entrepreneurship, ist in Deutschland über alle Altersgruppen hinweg hoch: Die Mehrheit der Bevölkerung stellt „Entrepreneurship“ beziehungsweise selbstständiger Tätigkeit ein gutes Zeugnis aus. Annähernd zwei Drittel der Befragten werten selbstständige Tätigkeit als gute berufliche Alternative zur abhängigen Beschäftigung. Die große Zustimmung lässt ein positives Meinungsbild erkennen, das in Anbetracht des rückläufigen Trends im Gründungsgeschehen in Deutschland vorerst nicht zu erwarten wäre.
Die darauf folgende Frage, die Aufschluss über die Neigung der Befragten zur Selbstständigkeit geben sollte, relativiert diese überaus positive Bewertung. Demzufolge würde sich lediglich jeder fünfte Befragte bewusst für die Selbstständigkeit entscheiden. Ein Wunsch, der vor allem in den jüngeren Altersgruppen – bei einem Drittel der unter 50-Jährigen – stärker vorkommt. Besonders groß ist das Interesse bei den Menschen zwischen 18–29 Jahren mit einem Anteil von ca. 50 Prozent. Diese Zahl weist auf einen signifikanten Anstieg der unternehmerischen Absichten der Jugendlichen in Deutschland in jüngster Zeit hin. Das ist umso bemerkenswerter, als diese Gruppe in dieser Hinsicht laut Eurobarometer bis zum Jahr 2014 den letzten Platz im EU-Ranking belegte.
Gefragt nach der konkreten Umsetzung einer Gründungsidee, geht aus der Befragung hervor: Gründungsaffinität ist hier ebenso, insbesondere bei den Jüngeren, deutlich vorhanden. Konkret haben sich fast ein Drittel der Menschen zwischen 18–29 Jahren bereits mit der beruflichen Selbstständigkeit befasst. Dieses erfreuliche Ergebnis, zusammen mit der oben festgestellten positiven Gründungseinstellung in der Gesamtbevölkerung, könnte als positives Zeichen auf dem Weg zur Stärkung des Gründergeistes in Deutschland interpretiert werden.
Die detaillierte Betrachtung der Befragungsergebnisse deckt zum Teil einige widersprüchliche Aspekte auf. Junge Menschen zeigen eine große Neigung zur beruflichen Selbstständigkeit/unternehmerischen Tätigkeit, was möglicherweise dazu führt, dass sie die Schritte vor der Gründung (Vorgründungsphase) aktiver angehen als die Älteren: Sie sammeln Informationen und nutzen möglicherweise die Erstberatung. Angesichts der niedrigen Gründungsquoten münden diese ersten Aktionen aber nicht in der Gründung eines Unternehmens bzw. der Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit, sondern die Gründungsabsichten werden frühzeitig abgebrochen.
Eine Erklärung dafür könnte die Frage nach der Angst liefern, die Auskunft über die Risikobereitschaft der deutschen Bevölkerung geben soll. Laut der Antworten ist die Angst vor der Gründung in Deutschland allgegenwärtig und betrifft vor allem die jüngeren Altersgruppen: Demgegenüber sind die Älteren vergleichsweise risikofreundlicher. Dennoch scheint es voreilig, die Angst als alleinige Ursache für die niedrige Gründungstätigkeit zu identifizieren. An dieser Stelle ist weitere Forschung über sonstige hemmende Faktoren für Gründungen nötig, um mehr Einblicke in diese Thematik zu erhalten (vgl. dazu Analysen des GEM-Länderberichts Deutschland).
In Deutschland scheint die Gründungskultur durch einige Klischees geprägt zu sein, wie die Antworten der Befragten vermuten lassen. Der Wunsch nach Unabhängigkeit, Freiheit und Flexibilität steht an oberster Stelle der Beweggründe. Ebenfalls fungiert berufliche Verwirklichung als wichtiger Antrieb für die Selbstständigkeit. Während bei den Jüngeren die Pullfaktoren dominieren – der Wunsch unternehmerisch tätig zu sein, die Umsetzung einer neuartigen Geschäftsidee –, die typische Eigenschaften von Chancengründungen sind, bleibt Gründung in den mittleren Jahren nach wie vor für einen Teil der Selbstständigen eine Alternative zur Arbeitslosigkeit. Dies spricht für berufliche Veränderung in der Lebensmitte, sei es freiwillig oder gezwungen, beispielsweise im Zuge von Umstrukturierungsprozessen in Unternehmen. Auffällig ist, dass in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen die Berufswahl Unternehmer maßgeblich durch die Familie, möglicherweise als interne Nachfolge, beeinflusst wird.
Die Hemmnisse im Gründungsprozess korrelieren stark mit den genannten Motiven. Abgesehen von Finanzierungssorgen zur Umsetzung der Geschäftsidee, die sowohl Großunternehmer als auch Kleingründer, zum Beispiel Soloselbstständige haben (können), wird häufig Bürokratie bemängelt. Hinzu kommen fehlendes Handwerkszeug und der Zugang zu Kunden und Netzwerken, woraus man wichtige Anhaltspunkte zur Verbesserung der Gründungsinfrastruktur in Deutschland ziehen kann.
An dritter Stelle taucht wieder die Angst zu scheitern auf, die – anders als gedacht – die jüngeren Altersgruppen stärker belastet. Die Älteren geben hingegen an, dass auch das Lebensund wahrgenommene Alter die berufliche Selbstständigkeit erschweren kann. Beide Faktoren stellen eher „nicht greifbare“ Barrieren dar, die aber in ihrer Bedeutung wider den Gründungswillen nicht zu unterschätzen sind.
„Angst bremst Gründungsabsichten junger Menschen, Ältere sind risikobereiter“
Abgeleitete Handlungsbedarfe
Aus den dargestellten Ergebnissen ergibt sich folgender Handlungsbedarf: Zum einen erscheint es wichtig, durch verstärkte Sensibilisierungsmaßnahmen an einer Gründungskultur zu arbeiten, in der die in der Bevölkerung hierzulande tief verankerte Angst zu scheitern sowie die typischen Vorurteile in Zusammenhang mit Alter und Gründung langsam an Relevanz verlieren. Gründung soll außerdem unabhängig von Lebenslage und Alter für alle Menschen zugänglich gemacht und ermöglicht werden.
Zum anderen ist es darüber hinaus sinnvoll, bei der entscheidenden Vorgründungsphase verstärkt anzusetzen. Die in den letzten Jahren intensiv geleisteten Aktivitäten auf dem Gebiet der Entrepreneurship Education haben möglicherweise das Interesse der Jugendlichen gestärkt und zu ersten Kontakten mit dem Thema Selbstständigkeit geführt. An dieser Stelle soll weiter gearbeitet werden. Ferner ist es empfehlenswert, Maßnahmen beziehungsweise Aktionen zu identifizieren und in die Wege zu leiten, um erfolgreiche Gründungen in den jungen Altersgruppen voranzubringen.
Im fortgeschrittenen Alter sinkt die Angst vor Selbstständigkeit und es steigt im Umkehrschluss die Risikobereitschaft. Einmal die kritische Phase mittleren Alters überstanden, in der existenzielle Sorgen und Beschäftigungssicherheit eine wichtige Rolle spielen und einige Menschen zur Gründung bewegen (können), gewinnen im Alter noch einmal unternehmerische Ziele an Wichtigkeit. Selbst in den Altersgruppen ab 60 Jahren entstehen oftmals Chancengründungen, denn viele Ältere sehen in der Selbstständigkeit eine Möglichkeit der – beruflichen – Selbstverwirklichung. Sie wollen damit eine Geschäftsidee umsetzen oder das über Jahre angesammelte Wissen an die nächsten Generationen weitergeben. Wie es sich aus weiteren früheren Untersuchungen über die Zielgruppe der älteren Gründer ergeben hat (vgl. Publikationen zum Thema „Senior Entrepreneurship“), haben angehende Spätgründer eigene Schwierigkeiten und Hürden zu bewältigen, die dem Wunsch unternehmerisch tätig zu werden entgegen stehen. Aus den oben dargestellten Gründen wäre es entscheidend, an dieser Stelle Anreize zu schaffen, um die Gründungstätigkeit älterer Menschen zu erhöhen.
Ferner ist aus den Befragungsergebnissen der Wunsch der Bevölkerung nach mehr Unterstützungsangeboten für Gründungswillige ersichtlich. Das überrascht, insofern Deutschland im internationalen Vergleich laut GEM jährlich gut bewertet wird. Angesichts der hier ausgeführten Ergebnisse wird diese positive Beurteilung in der Bevölkerung, insbesondere von erfahrenen Gründern und Unternehmen in Deutschland, nicht geteilt. Bei einer möglichen Überprüfung der Förderinfrastruktur könnte deshalb der Blick speziell darauf gelegt werden: erstens, ob die Förderprogramme und Beratungsangebote im Allgemeinen bekannt sind; zweitens, ob deren Verbreitung so aufgebaut ist, dass die vorhandenen Angebote für Gründungsinteressenten zugänglich sind und drittens, ob diese Angebote in ihrem Spektrum breit genug aufgestellt sind, um die vielfältigen Anforderungen bei sehr unterschiedlichen Gründungsabsichten und -voraussetzungen abzudecken.
Ausblick
Die vorliegende Studie hat einige Sichtweisen von jungen sowie älteren Menschen bezüglich ihrer Gründungseinstellung aufgezeigt. Die Ergebnisse bilden lediglich einen Ausschnitt der Gesamtdarstellung ab und sollen deshalb als Grundlage gesehen werden, auf der weiterreichende Forschung betrieben werden kann und soll. Denn nur aus der Kenntnis der Bedarfe, aber auch der Wünsche sowie der Erwartungen der verschiedenen Bevölkerungsund Altersgruppen an die Selbstständigkeit, können wirkungsvolle Maßnahmen und Initiativen abgeleitet werden, die langfristig zur Stärkung des Gründergeistes in Deutschland angelegt sind.
In diesem Sinne steht das Thema Gründung, im Konkreten die „Förderung der Gründungskultur“, ganz oben auf der politischen Agenda der Bundesregierung, wie es im Koalitionsvertrag vom 14.03.2018 festgeschrieben ist. Als erste Maßnahme hat das BMWi gemeinsam mit der KfW im April 2018 die digitale Gründerplattform (www.gruenderplattform.de) gelauncht, mit der der Gründungsprozess schon in der Vorgründungsphase digitalisiert wird.
Solche Aktivitäten zielen darauf ab, Selbstständigkeit als berufliche Alternative in der Bevölkerung zu etablieren. Ebenfalls Gründer und gestandene Unternehmer können hierzu einen wertvollen Beitrag leisten, in dem sie ein realistisches Bild dieser Berufoption an die Öffentlichkeit transportieren. Denn als positive Botschaft und Schlussbemerkung der Studie kann festgehalten werden, dass sich die Entscheidung zur beruflichen Selbstständigkeit allen Schwierigkeiten zum Trotz für die Befragten bewährt hat. Denn sie würden sich mehrheitlich heute erneut dafür entscheiden. Vor allem aktuell Selbstständige, vermutlich erfolgreiche Gründerpersonen, zeigen sich zuversichtlicher und würden es (noch einmal) tun.
Weitere Publikationen des RKW Kompetenzzentrums im Themenbereich Gründungskultur:
Leitfaden
Einfach Gründen in Deutschland – Informationen und Beratungsangebote für internationale Fachkräfte, Migranten und geflüchtete Personen, 2018
Praxisbeispiele
Der Europäische Unternehmensförderpreis 2017, Beispiele guter Praxis aus Deutschland, 2017
Studie
Mittelstand meets Startup: Potenziale der Zusammenarbeit, 2017
Leitfaden
Leitfaden für die Gründungsberatung 45plus: Herausforderungen und Handlungsvorschläge, 2016
Studie
Gründungen scheitern nicht am Team, sondern im Team, Studie zu Herausforderungen für Startup-Teams, 2016
Leitfaden
Entrepreneurship Education: Begeisterung wecken, Talente entdecken, 2015
Leitfaden
Empfehlungskatalog Senior Entrepreneurship: Hinweise für die Beratungspraxis 45plus, 2015
Über folgenden Link gelangt man zu den Publikationen des Fachbereichs Gründung & Innovation: www.rkw.link/publikationengruendung
Folgender Link verweist auf die Themenseite „Gründungskultur und Unternehmergeist fördern“: www.rkw.link/gruendungskultur
Folgende Links verweisen auf die Themenseite „Senior Entrepreneurship“: www.rkw.link/seniorentrepreneurship und www.senior-entrepreneurship.de
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