Dies ist die siebte Ausgabe unserer Interviewreihe „#lernenausderkrise – Stimmen aus dem Mittelstand“. Madlen Thorwarth, Gründerin und CEO des Online-Schmuckanbieters Concrete Jungle GmbH & Co. KG, teilt ihre Erfahrungen aus der Corona-Krise mit uns und berichtet, wie sie vom Wachstums- in den Konsolidierungsmodus wechseln musste. Nach dem ersten Boom im Online-Shopping, kam hier einiges zusammen. Was ihr dabei geholfen hat? Nicht jede Marktchance aufzugreifen, Schwierigkeiten offen und ehrlich anzusprechen, beharrlich nach Lösungen zu suchen und stets einen Plan B oder C in der Tasche zu haben.
Wir haben gelernt, entgegen unserer Start-up-Mentalität nicht jeden Wachstumsimpuls aufzugreifen und konzentrieren unsere Kräfte stärker: auf die Pflege unserer Wurzeln und kleine, aber feine Produktinnovationen.
RKW: Liebe Madlen, Anfang des Jahres hast Du mit diesem Post im Business-Netzwerk LinkedIn viel Aufmerksamkeit erregt.
Du fasst hier Deine Erfahrungen aus 2021 ungewöhnlich ehrlich und deutlich zusammen. Das hat uns neugierig gemacht und da seitdem nun auch schon wieder einige Zeit vergangen ist, fragen wir nochmal nach: Wie habt Ihr bei Concrete Jungle und Du persönlich die Corona-Krise bisher erlebt?
Madlen Thorwarth: Für uns war es wirklich ein Auf und Ab. 2020 hatten wir zunächst einen richtigen Schub. Ich denke, das lag vor allem daran, dass die Menschen wegen der langen Lockdowns das Online-Shoppen nach Geschenken und Eigenbedarf ja entdecken mussten. Da wir ein B2C-Brand sind und hauptsächlich online vermarkten, konnten wir davon natürlich erheblich profitieren. So sind wir im Weihnachtsgeschäft – unserer Hauptumsatzzeit – gerade noch so hinterhergekommen und waren froh, dass wir vorausahnend schon unser Personal in der Produktion aufgestockt hatten. Das hat sich auch tatsächlich noch reingezogen ins nächste Jahr 2021. Ich glaube, viele Menschen haben da noch an eine kurzfristige Krise geglaubt und sich nicht mit dem Konsum zurückgehalten.
Aufgrund der Material-Lieferzeiten und Einarbeitungszeiten für neues Personal, stützen wir unsere Jahresplanung gern auf das 1. Quartal. Wir gingen für 2021 also von sehr guten Zahlen aus, teilweise sogar mehr als 300 Prozent Umsatzsteigerung.
Das schien uns so viel, dass wir uns entschieden haben, stattdessen mit unserem normalen Wachstumsfaktor zu rechnen und Alles was darüber hinaus gehen könnte, als „nice to have“ zu deklarieren. Wir befürchteten, uns sonst zu übernehmen und waren uns auch mit der Stimmung in der Gesellschaft nicht sicher: Die Menschen wurden der Lockdowns langsam wirklich müde.
Und dann kamen wirklich mehrere Sachen für uns zusammen: Einerseits hat uns die Rohstoffkrise voll getroffen. Zwar haben wir uns im Vorjahr in Sachen Verpackung und Lieferung schon sehr unabhängig gemacht und für Back-ups gesorgt. Aber was wir nicht bedacht hatten war, dass Teile unserer besonderen Betonmischungen plötzlich nicht lieferbar sein könnten. Das war dann leider der Fall und dann auch noch für zwei Rohstoffe, die für zwei unterschiedliche Mischungen essentiell waren. So konnten wir sowohl zwei unserer Standard-Kollektionen als auch unsere neuen Produkte nicht produzieren. Für erstere haben wir dann glücklicherweise relativ schnell eine Lösung gefunden und auch der Lieferengpass löste sich wieder. Aber an einer Alternative für unsere weiße Betonmischung arbeiten wir heute noch.
Hinzu kamen die neuen Datenschutzbestimmungen mit dem iOS 14 Update, d.h. wir konnten unsere Online-Anzeigen auf unserem Hauptkanal Facebook nicht mehr so ausspielen, wie bisher und mussten auf andere Formate und Kanäle ausweichen. Wir konnten also weder unsere Bestandskunden mit neuen Schmuckstücken bedienen, noch genügend Neukunden via Facebook akquirieren - ein absoluter Supergau.
Dann kam noch hinzu, dass ich nach all den anstrengenden Aufbaujahren persönlich und gesundheitlich kämpfte.
Unsere Hoffnung lag dann nach all den Schwierigkeiten auf dem bewährten Weihnachtsgeschäft. Für genügend Personal und Material hatten wir mit viel Mühe gesorgt, also Alles war da – nur leider die Kaufkraft nicht. Die große Nachfrage blieb leider aus. Verständlich, nach zwei Jahren Kurzarbeit, steigenden Preisen, Depressionen, … und nun auch noch dem Krieg in der Ukraine. Schmuck an sich ist ein Luxusartikel, Betonschmuck ist ein Nischen-Luxusartikel – man hatte jetzt einfach andere Sorgen.
Anfang dieses Jahres sind wir dann auch mit 50 Prozent in die Kurzarbeit gegangen. Wir haben genügend Standard-Kollektionen auf Lager und konzentrieren uns mit den verbleibenden 50 Prozent nun darauf, was wir letztes Jahr nicht machen konnten: neue Produkte für unsere treue Kundschaft zu kreieren. Gleich zu Anfang des Jahres wollten wir mit neuen Kollektionen bei ihnen punkten und damit auch unabhängiger vom Weihnachtsgeschäft werden. Gleichzeitig bereiten wir so das Nächste vor, indem wir mit kleinen Editionen schauen, wie neue Produkte ankommen und sie weiter entwickeln können. Darüber hinaus arbeiten wir daran, individuelle Anfertigungen möglich zu machen. Langsam werden die Zahlen auch wieder etwas besser, aber wir haben uns trotzdem entschlossen, dieses Jahr zu konsolidieren. Energie- und Lieferkrise sowie Pandemie bleiben für uns unberechenbar. Wir werden beobachten und schauen, was passiert.
In Sachen Rohstoffe haben wir gelernt, uns breiter aufzustellen – sowohl was die Lieferanten angeht, als auch unsere Betonmischungen. Mittlerweile haben wir drei unterschiedliche Mischungen, die wiederum auf sehr unterschiedlichen Rohstoffen basieren. Das sollte uns also nicht mehr passieren. Die Energiekrise trifft uns nicht ganz so stark, weil wir viel Handarbeit machen. Aber dafür trifft uns der Anstieg vom Silberpreis und lässt uns über Preiserhöhungen nachdenken, die aufgrund der aktuell niedrigen Kaufkraft jedoch unmöglich erscheinen.
Die Lieferkrise trifft uns noch auf einer ganz anderen Ebene: Wir haben schon vor der Corona-Krise einen Umzug geplant, an den ein Umbau geknüpft ist und der sollte jetzt fast doppelt so teuer als geplant werden. Deshalb mussten wir den Vertrag auflösen und den Umzug sein lassen. Die Hightech-Werkstatt, von der ich bei der Planung geträumt habe, wird wohl noch warten müssen.
Was würdest Du anderen Unternehmerinnen und Unternehmern mit Blick auf diese Erfahrungen raten? Was sind die Top3 Deiner Learnings?
Top1: Demut beibehalten und nicht übermütig werden, weil man einfach nie genau weiß, was passiert. Dazu gehört auch, Ziele und Ressourcen realistisch einzuschätzen.
Top2: Schnell die Lage beurteilen, reagieren und für Back-ups sorgen.
Top3: Viel und möglichst offen mit Mitarbeitenden reden. Wir sind alle Menschen mit ganz eigenen – auch privaten – Sorgen und brauchen uns in solchen Krisenzeiten besonders.
Lieber Madlen, vielen Dank für Deine Offenheit und alles Gute für Euer Unternehmen!
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