Wie gestalten Unternehmen mobile Arbeit? Was hat sich in der Praxis bewährt? Woran muss noch gearbeitet werden? Mit Frau Loße durfte ich über die Erfahrungen in ihrem Unternehmen sprechen.
Liebe Frau Loße,
vielen Dank für die Möglichkeit, die Gestaltung mobiler Arbeit bei Ihnen kennen zu lernen. Wir waren bereits im vergangenen Jahr in Kontakt, als Sie an unserer Workshop-Reihe „Mobile Arbeit zukunftsfest gestalten“ teilgenommen haben. Damals wollten Sie unter anderem überprüfen, wie Sie die kurzfristig eingeführte Corona-Regelung übertragen können. Und ich bin gespannt zu hören, was sich seitdem bei Ihnen entwickelt hat. Bevor wir dazu kommen, beschreiben Sie doch bitte Ihr Unternehmen und Ihre Funktion.
Sehr gerne. Mein Name ist Karina Loße und ich bin stellvertretende Leiterin der Frühförderung, einer Außenstelle des Heilpädagogischen Zentrums Irchenrieth. Unsere Aufgabe ist, behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder zwischen 0 und 6 Jahren durch gezielte Angebote zu unterstützen und zu fördern – von der Entwicklungsdiagnostik über therapeutische Maßnahmen bis zur Beratung der Eltern. Dabei arbeiten wir interdisziplinär: Ich selbst bin Heilpädagogin, es gibt aber auch z. B. ErzieherInnen, PsychologInnen, LogopädInnen, ErgotherapeutInnen oder PhysiotherapeutInnen.
Von Ihrer Tätigkeit kennen Sie es ja schon immer mobil zu arbeiten, da Sie nicht nur im Zentrum arbeiten, sondern zur Betreuung die Kinder meist zuhause besuchen.
Das ist richtig, wir sind aufgrund unseres Behandlungsauftrages überwiegend mobil unterwegs. Wir bieten den Familien Beratung und Therapie vor Ort an. Aber aus versicherungstechnischen Gründen konnten wir beispielsweise die Dokumentation nur im Büro oder im Dienstauto erledigen. Bei eisigen Temperaturen nicht sehr angenehm. Da war einfach der Datenschutz so festgelegt, im Auto war alles versichert.
Mit Corona hat sich dies dann aber auch geändert. Wie haben Sie die schwierige Zeit gemeistert?
Als es mit Corona losging, hat sich die Geschäftsstelle Gedanken gemacht hat, wie sie das Personal in den Büros entzerren können. In diesem Zuge haben wir eine Sonderbetriebsvereinbarung für mobiles Arbeiten bekommen. Seitdem durften wir unter Eigenverantwortung auch zuhause arbeiten, wenn die Unterlagen auch vor Dritten, wie Familienmitgliedern, unter Verschluss sind. Das hieß, wir durften flexibel die Zeiten zuhause nutzen und auch in der Corona-dichten-Phase, wo die Regeln richtig straff waren, sollten wir uns mit den Bürokolleginnen aus dem eigenen Büro absprechen, wer wann im Büro sein muss, um z. B. Materialien zu holen oder um sich mit anderen Kollegen abzusprechen. Das lässt sich ja aufgrund unserer Arbeit nicht verhindern. Und ansonsten konnten wir eben flexibel entscheiden, ob ich in der Wohnung arbeite, in der Wohnung dokumentiere oder telefoniere.
Die neue Arbeitsweise war aber ja auch nur durch technische Aufrüstung möglich, oder?
Wir haben zu dem Zeitpunkt entsprechende Endgeräte bekommen, es wurde dann z. B. jeder mit einem Laptop ausgestattet. Vorher besaßen wir innerhalb der Büroräume Laptops zur gemeinsamen Nutzung nach gegenseitiger Absprache.
Aber dass jetzt jeder ein eigenes Handy und Laptop hatte: Das war schon Weihnachten."
Das klingt nach einer größeren Investition.
Das war eine Großinvestition, genau. Auf unsere Räumlichkeiten können wir aber trotz dieser Ausstattung weiterhin nicht verzichten, denn wir benötigen sie, um die Fördermaterialien unterzubringen oder auch entsprechend unserer interdisziplinären Arbeitsweise Präsenztreffen, wie kollegiale Beratung und Teams durchführen zu können. Das ist nicht immer über Videokonferenz gut zu lösen. Und momentan sind wir weiter mit Büros gut ausgestattet. Wir haben auch Lösungen gefunden für Personal mit geringen Stunden, dass sie sich dann mit Kolleginnen und Kollegen auch mit geringen Stunden Büros flexibel aufteilen. Mit entsprechenden eigenen Bürocontainern, die dann mobil und flexibel eingesetzt werden, ist das gut organisiert. Und wir hatten durch die technische Ausstattung die Möglichkeit, dass jeder für sich – unabhängig vom anderen – einteilen konnte, an welchem Ort er seine Berichte schreibt.
Sie hatten im vergangenen Jahr, auch mit Unterstützung unserer Checkliste, eine Umfrage bei Ihren Kolleginnen und Kollegen zu mobiler Arbeit durchgeführt. Wie war die Resonanz?
Bis auf technische Probleme, die wir zu Beginn noch hatten, kam eigentlich nur Positives. Vor allem diese Flexibilität haben alle sehr genossen. Und dann kam auch die Rückmeldung, das wäre schon schön, wenn wir das weiterhin so nutzen könnten. Auch wenn sich die Corona-Regelungen hoffentlich wieder ändern werden. Die Geschäftsführung reagierte positiv darauf und ermöglichte uns diese Arbeitsweise auch über Corona hinaus.
Das heißt, es ist bei der Regelung geblieben: Es gibt viele Teamabsprachen, aber jeder für sich ist in der Betreuung seiner Kinder weiterhin frei, man kann ortsflexibel arbeiten. Wie war es für die Leitung oder auch die Führungskräfte, mit der veränderten Situation umzugehen.
Also meine Leitung vor Ort tat sich am Anfang schwer damit. Sie hat die meiste Zeit ihres Berufslebens in der Frühförderung einfach andere Strukturen erlebt und sieht da auch viel Bewährtes drin. Was man ja auch nicht unter den Tisch kehren soll. Ich habe sie da insofern auch teilweise verstanden, denn die Gefahr besteht schon, dass gerade unsere interdisziplinäre Arbeit darunter leidet, wenn ich jetzt diese technischen Möglichkeiten zu stark einsetze. Und das hat sich ja auch bestätigt in dieser Zeit, wo wir wenig vor Ort waren und auch gar keine Präsenztreffen hatten.
Und das hat auch schon sehr die Absprache erschwert. Vorher saßen wir immer in der Runde zusammen, schnelle Abstimmung über Handheben gemacht und Dinge waren geklärt. Es ist schon ein Unterschied, ob ich dann eine Abstimmung ins Netz stelle, dann schaut jeder zu unterschiedlichen Zeiten rein, dann muss ich eine Frist setze, bis ich von jedem eine Antwort habe. Also es ist nicht immer nur von Vorteil. Inzwischen sieht sie aber auch Vorteile in der ganzen Sache.
Sie hatten vor Corona viel Personal aufgebaut. Wie wirken sich denn die neuen Regelungen auf die Attraktivität als Arbeitgeber aus?
Wir lassen natürlich dieses Thema bewusst auch mit einfließen. Wobei da die Reaktionen eigenartigerweise gar nicht so waren wie erwartet. Also wir hatten da mehr positive Reaktionen erwartet. Und es wurde zumindest im Gespräch eher als reine Information hingenommen. Zumindest aus den Reaktionen des Bewerbers heraus. Also es wurde jetzt nicht so als das große Bonbon gesehen, deswegen möchte ich jetzt zu euch kommen. Vielleicht auch, weil es sich doch ein Stück weit normalisiert hat, dass es möglich ist, wenn man andere soziale Betriebe angeschaut hat.
Spannend, dass es eher neutral aufgefasst wird. Aber wer weiß, wie die Situation wäre, wenn sie das Angebot nicht mehr hätten. Haben Sie denn auch Beispiele, wo Sie Beschäftigte durch die neue Arbeitsform halten konnten?
Ja, eine Kollegin mit geringer Stundenzahl konnten wir dadurch halten. Die wirklich weit weg wohnt von uns. Sie muss schon zu den Präsenzteams dabei sein, wobei wir da jetzt auch eine Regelung getroffen haben, dass sie nicht zu jeder dabei sein muss. Aber sie muss sich über das Protokoll immer inhaltlich gut informieren. Und von einer Kollegin weiß ich aus einem Gespräch ganz sicher: Ich bin eigentlich noch da, weil ich so flexibel arbeiten kann.
Einen festen Präsenztag mit dem Teammeeting haben Sie wieder eingeführt, vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.
Richtig, wir treffen uns wieder alle vierzehn Tage im Büro. Also eine der stärksten Rückmeldungen war, dass wir uns völlig aus dem Blick verlieren. Wir sehen unsere neu dazu gekommenen Kolleginnen und Kollegen nicht mehr, wir erleben uns nicht mehr als Menschen, als Team, im Persönlichen. Also viele haben gesagt, sie fühlen sich schon langsam einsam und als Einzelkämpfer. Und auch unsere interdisziplinäre Arbeit in Bezug auf Austausch hat sehr darunter gelitten. Und das ist ja im Endeffekt unser Hauptauftrag, das ist der Unterschied zu einer Ergotherapiepraxis, die ja am Kind einzeln gezielt arbeitet. Wir arbeiten ja als 2er bis zu 3er Teams an einem Kind und da müssen wir uns auch regelmäßig persönlich abstimmen oder auch die Zielvorgaben persönlich absprechen.
Das ging dann schon ganz gut auch über Videokonferenz, besser als nur am Telefon. Aber insgesamt fehlte der persönliche Kontakt und Austausch. Und auch das teilweise zügigere Abarbeiten im großen Präsenzteam war schon ein Schwerpunkt von vielen: Auf kleine Fragen, die zwischendurch aufkommen und bei denen ich einfach mal schnell eine Rückmeldung brauche aus dem Team, bekomme ich schneller eine Antwort. Oder auch die Team-, die Mitarbeiterpflege wurde hervorgehoben: Dass man sich auch mal erlebt, dem anderen mal gemeinsam zum runden Geburtstag gratulieren kann. Oder dass man mal wieder überhaupt zusammen im Team eine Feier macht. Das ging ja auch alles nicht mehr. Das war natürlich auch Corona geschuldet, aber wenn man sich nicht mehr oft erlebt gehen auch diese Bedürfnisse zurück. Weil man sich auch nicht mehr kollegial gesehen nahe ist.
Diese Distanz haben ja durchaus viele Beschäftigte als negativ erlebt. Wie würden Sie es denn aus Ihrer Praxis heraus einschätzen: Wie oft sind Sie denn jetzt im Büro?
Also ich selbst bin momentan im Durchschnitt an 3 bis 4 von 5 Tagen im Büro. Wenn ich es aber z. B. strukturieren kann, arbeite ich schon gerne auch von zuhause aus, gerade weil ich mich dort auch besser konzentrieren kann.
Ich sag mal so, das ist einfach bei uns die Bürokultur, die Vor- und Nachteile hat: Ach, die Kollegin ist da, da kann ich mal schnell hin und eine Frage stellen. Und dann werde ich oft aus dem Bericht herausgerissen. Das passiert mir hier zuhause nicht. Und damit kann ich auch Dinge zügiger abarbeiten.“
Das ist auch ein Qualitätsmerkmal finde ich. Ich bin schon sehr häufig im Büro, das liegt auch an meiner Doppelfunktion als stellvertretende Leitung und als Heilpädagogin. Auch kann ich nicht immer davon ausgehen, dass es für alle passt, wenn sie Fragen an mich stellen wollen oder über ein Kind eine Fallbesprechung machen wollen, dass das nur über Telefon oder per Videokonferenz läuft. Gerade Telefon ist oftmals für eine Beratung nicht so angenehm.
Eine letzte Frage: Wie organisieren Sie denn ihre Präsenz- und Abwesenheitszeiten, damit die Kolleginnen und Kollegen wissen, wann jemand wo erreichbar ist?
Also ich jetzt speziell in meiner Stellvertreterfunktion gebe im Falle der Leitungsvertretung über eine Rundmail an, wo ich mich befinde und von wann bis wann ich zumindest auch telefonisch erreichbar bin. Ansonsten mache ich auch viele Gesprächstermine aus, wenn der Wunsch besteht, dass ich vor Ort sein soll. Also es läuft insgesamt viel über die Mail-Funktion, aber auch über Intranet. In Confluence* geben wir uns in einem virtuellen Gesamtteam auch solche grundsätzlichen Hinweise. Aber dadurch, dass es jede Woche anders ist, oder sich z. B. aufgrund von Krankheit des Kindes kurzfristig verschiebt, hilft oft nur der Anruf um festzustellen „Wo befindest du dich gerade?“.
Aber ich merke, dass es viel Interaktionsaufwand für Sie ist: Mail schrieben, Mails registrieren, Mails beantworten. Wenn die Kollegen das auch machen, hat man ja relativ viele Informationen.
Also die E-Mail-Flut ist wirklich noch mal ein Stichpunkt: Das sagen wir alle, das ist nämlich auch die Gefahr, wenn zu viele am Tag kommen, dass man dann auch eine wichtige Information – so mal schnell unterwegs drauf geschaut – auch übersieht. Bei uns wäre es zumindest schon von Vorteil zu wissen, ist sie gerade bei Kindern, ist sie überhaupt erreichbar oder hat sie sich über den ganzen Tag Termine mit Kindern gelegt. Da können wir sicher noch über Verbesserungen nachdenken.
Bei Ihnen klingt das jetzt aber alles in allem rund, auch die Rückmeldungen aus dem Team. Sicherlich hat auch die Umfrage im letzten Jahr dazu beigetragen, dass viel mitgetragen wurde. An dieser Stelle möchte ich mich sehr für das Interview bedanken und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
* Confluence ist eine Software mit virtuellem Arbeitsbereich, zur Zusammenarbeit im Team: https://www.atlassian.com/de/software/confluence
Auch Sie möchten Ihre "Mobile Arbeit"-Regelung auf den Prüfstand stellen?
Dann nutzen Sie unsere Handlungshilfe "Homeoffice und mobile Arbeit bewusst gestalten". Hier bekommen Sie wichtige Hintergrundinformationen und können verschiedene Tools direkt im Unternehmen anwenden.
- © Iuliia Pilipeichenko / iStock.com – 2635_kinderhaende.jpg